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Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe

Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe

Titel: Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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noch nichts von diesen Dingen und hatte Angst, er war siebzehn und die Frau zehn Jahre älter. Sie war geduldig und feinfühlig, weil ihr klar war, daß sie es mit einem unerfahrenen Jungen zu tun hatte.
    »Warum hast du das gemacht?« hatte er sie gefragt, nachdem es vorbei war. »Was hast du davon, dich mit mir abzugeben?«
    »Das verstehst du nicht«, lächelte sie. »Du hast etwas . . . Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Von dir geht etwas aus. Eine Frau sieht dich an und will dich. Weißt du, das gibt es selten, sehr, sehr selten, gewöhnlich muß ein Mann sehr viel dafür tun, damit eine Frau ihn wirklich zu wollen beginnt. Aber du hast das nicht nötig. Von dir geht eine so starke Erotik aus, daß du nichts weiter brauchst als deine Potenz.«
    Turbin hatte damals nicht so recht verstanden, was die Frau meinte, aber er hatte sich ihre Worte gemerkt und begonnen, Erfahrungen zu sammeln. Bereits nach einem Jahr war ihm der Sinn jener Worte voll und ganz aufgegangen. Dann hatte er noch ein weiteres halbes Jahr gebraucht, um sich ein eigenes Wertesystem zu erschaffen und es in Übereinstimmung zu bringen mit der Gabe, die er in sich entdeckt hatte.
    Valerij war immer ein braver, mustergültiger Junge gewesen, umgeben von guten Büchern und guten Bildern, von einer klugen, gebildeten Mutter, die ihm, ohne einen Blick ins Schulbuch zu werfen, bis hin zur zehnten Klasse in jedem Fach alles erklären konnte, was er nicht verstand. Die umfassende Bildung der Mutter machte sie zu einer unantastbaren intellektuellen Autorität. Valerij wuchs in der Überzeugung auf, daß das wichtigste im Leben Bildung und Intellekt waren. So konnte man jeden Beruf ergreifen und jedes Ziel erreichen. Sein Schulabschluß war gekrönt von der Goldmedaille für besondere Leistungen.
    Und plötzlich stellte sich heraus, daß die Natur ihm etwas mitgegeben hatte, das es ihm erlaubte, seine Ziele mit anderen, wesentlich angenehmeren Mitteln zu verfolgen. Bedeutete dies, daß alles Bisherige umsonst gewesen war? All die Opfer, die er im Namen der Bildung gebracht hatte, all die versäumten Partys und Kinoabende, all die verschenkten Rendezvous mit Mädchen? In Wahrheit hätte er sich also herumtreiben und die Nächte durchmachen können, heimlich Wein trinken in der Gartenlaube, beschwipste Mädchen küssen oder noch mehr als das, Karten spielen, ins Kino gehen. Er hätte eine ganz normale Jugend haben können, mit allen Kindereien und Sünden, die man in diesem Alter beging, mit frühen sexuellen Erfahrungen, harmlosen Saufgelagen und Angebereien und wäre trotzdem zum Ziel gekommen. Denn die Sekretärin der Aufnahmekommission an der Uni, eine junge, kaum dreißigjährige Parteiaktivistin, setzte ihn ganz unabhängig von seinen ausgezeichneten Zeugnissen und seiner Goldmedaille auf die Liste derer, die unter allen Umständen einen Studienplatz erhalten sollten. Turbin hatte sie darum nicht bitten, sie nicht überreden müssen, sie hatte es ganz von selbst getan, nach einer knappen Viertelstunde, die sie mit ihm allein verbracht hatte. In dieser Viertelstunde vor der Speichertür auf der Hintertreppe hatte sie alles bekommen, was sie in den sechs Jahren ihrer Ehe vermißt hatte.
    Er war ein sehr erfolgreicher Student, schrieb hervorragende Semesterarbeiten, wobei er sich sein Thema stets sehr gezielt aussuchte, sich nur auf Dinge konzentrierte, die ihn wirklich interessierten. Die Professoren, die seine Fähigkeiten sehr hoch einschätzten, rieten ihm zum Studium der Soziologie und noch mehr zu dem der Politologie.
    Wir müssen uns in Zukunft auf ein Mehrparteiensystem einstellen, predigte man ihm, die Politik wird sich in unserem Land sehr schnell verändern, und dann werden wir dringend Leute brauchen, die die Lage analysieren können, Kommentatoren und Berater, die sich in der Materie auskennen.
    Ja, er wollte Ruhm, und noch mehr wollte er Geld. Seit seine Mutter in Rente gegangen und er erwachsen geworden war, zogen sie von einer Wohnung in die andere um, jedes Mal in eine kleinere, um die Ablöse für die größere Wohnfläche zu bekommen, weil das Geld nicht zum Leben ausreichte. Das Stipendium war trotz des Höchstsatzes, den Valerij erhielt, lächerlich gering, aber die Mutter wollte nichts davon hören, daß er das Studium aufgab und sich eine Arbeit suchte. Das armselige Leben stand Valerij bis zum Hals, er erinnerte sich noch gut an seine schöne, sorgenfreie Kindheit zwischen den alten Büchern mit den Goldlettern auf den

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