Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
Schewzow gastfreundlich mit Tee. Jede ihrer Bewegungen war begleitet von ausführlichen Kommentaren und gemeinsamem Gelächter, weil sie schon so lange nicht mehr bei ihrer Tochter zu Hause war und keine Vorstellung davon hatte, wo etwas zu finden war. Am längsten suchte sie nach dem Tee.
»Entschuldigen Sie, Anton, aber ich fürchte, ich werde Ihnen keinen Tee anbieten können«, sagte sie schließlich, nachdem sie alle Schränke und Schubladen in der Küche durchsucht hatte. »Ich kann ihn nicht finden.«
»Haben Sie auch wirklich überall nachgesehen?« fragte Anton, der Nastjas Mutter die ganze Zeit aufmerksam beobachtete und mindestens fünf Stellen sah, an denen sich der Tee befinden konnte und an denen sie noch nicht gesucht hatte.
»Ich glaube, ich habe wirklich überall nachgesehen. Darf ich Ihnen vielleicht einen Kaffee anbieten?«
»Nein, danke, ich trinke keinen Kaffee.«
»Warum denn das?«
»Die Ärzte haben es mir verboten. Das Herz.«
»Was Sie nicht sagen! Sie sind doch noch so jung. Das tut mir aber leid für Sie. Wissen Sie, wenn die Jungen krank sind und die Alten bei bester Gesundheit – das ist irgendwie nicht normal. Ich zum Beispiel bin gesund wie ein neugeborener Säugling, aber meine Nastja ist völlig verkorkst. Ihre Gefäße taugen schon jetzt nichts mehr, und ständig hat sie Rückenschmerzen.«
»Wie kommt es denn, daß man Ihre Nastja bei der Miliz eingestellt hat, wenn sie so krank ist? Beziehungen?«
»Aber nein, Anton, sie arbeitet in ihrem erlernten Beruf, man hat sie nach dem Studium der Miliz zugeteilt. Allerdings hat mein Mann sein Leben lang bei der Kripo gearbeitet. . .«
»Da haben wir’s ja«, grinste Anton.
»Aber das eine hat doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Nastja hat alles in ihrem Leben allein geschafft.«
»Und wie ist sie durch die ärztliche Einstellungsuntersuchung gekommen mit ihrem kranken Rücken?«
»Sie hat niemandem gesagt, daß sie einen Rückenschaden hat, und die Ärzte haben es nicht bemerkt. Sie kennen doch unsere Ärzte.«
»Das heißt also, daß ihre Karriere bei der Miliz mit einer Lüge begonnen hat, ausgerechnet bei der Miliz«, lachte Anton. »Das Leben spielt seltsame Stücke.«
»Sie hat nicht gelogen, sondern nur die Wahrheit verschwiegen«, verbesserte Nadeshda Rostislawowna ihren Gesprächspartner lächelnd. »Das ist nicht ganz dasselbe.«
»Nach meiner Meinung ist es dasselbe. Übrigens, sehen Sie mal in der Dose dort nach, vielleicht finden Sie den Tee dort.«
»In dieser? Ach, tatsächlich, hier ist er. Woher haben Sie das denn gewußt?«
»Intuition.«
* * *
»Warum sind Sie so sicher, daß bereits zehn Minuten nach dem begangenen Mord niemand mehr das Gebäude des Standesamtes verlassen konnte?«
»Weil mein Mann und Alexej. . .«
»Der Mann meiner Schwägerin«, verbesserte Nastja.
»Ja, richtig, der Mann meiner Schwägerin. Sie haben die Ausgänge versperrt und niemanden mehr hinausgelassen.«
»Warum haben sie das gemacht? Wer hat sie dazu angewiesen?«
»Nastja.«
»Die Halbschwester meines Mannes«, verbesserte Nastja erneut.
»Ja, die Halbschwester meines Mannes.«
»Und wie ist sie auf diese Idee gekommen? War sie in ihrem Leben schon öfter mit solchen Situationen konfrontiert?«
»Sie hat in ihrem Leben viele Krimis gelesen und weiß deshalb, wie man sich in so einer Lage verhalten muß«, antwortete Nastja an Daschas Stelle. »Hören Sie, Slawa, ich verstehe Ihren Wunsch, dem Leser einen Wink mit dem Zaunpfahl zu geben, daß sich im Standesamt zur Tatzeit jemand von der Kripo befunden hat und daß Sie das Glück hatten, diesen Jemand kennenzulernen. Aber geben Sie Ihr Unterfangen auf. Ich werde sowieso nicht zulassen, daß Dascha irgendein überflüssiges Wort sagt.«
* * *
»Danke, Nadeshda Rostislawowna, der Tee schmeckt vorzüglich. Sagen Sie, wollte Ihre Tochter schon von Kindheit an Juristin werden und bei der Miliz arbeiten?«
»Aber nein, Anton, wo denken Sie hin. Als Kind hat sie Sprachen und Mathematik gelernt. Ich war eigentlich sicher, daß sie in meine Fußstapfen treten und Linguistin werden würde. Niemand hat etwas Böses geahnt, sozusagen. Ab der neunten Klasse war sie ständig mit Ljoscha zusammen, und daran, daß er ein bedeutender Mathematiker werden würde, hat schon damals niemand gezweifelt. Mein Mann und ich haben erwartet, daß die beiden an einer Fakultät studieren würden. Aber wie man sieht, haben wir uns getäuscht.«
»Hat Ihre Tochter sich denn nicht
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