Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Beweise vorlegen, aber ich habe falsche Papiere. Ich war in verschiedenen Städten, ich besitze die Flugtickets, man kann nachprüfen, in welchen Hotels ich gewohnt habe, aber alles das läuft nicht unter meinem richtigen Namen.«
»Natürlich«, lachte Nastja, »da man so hinter Ihnen her war, als Sie das Straflager verließen, wäre es töricht anzunehmen, dass Sie unter Ihrem richtigen Namen herumlaufen. Hat Minajew Ihnen diesen Freundschaftsdienst erwiesen?«
Pawel nickte.
»Wenn ich die Sache mit den falschen Papieren offen legen würde, würde ich Minajew verraten. Und das kann ich nicht tun. Ich habe Moskau im Grunde nur deshalb verlassen, weil man nach wie vor hinter mir her ist. Zwei Wochen habe ich hier verbracht, bei Rita, weil ich nicht anders konnte. Und dann bin ich weggefahren, weil es zu gefährlich wurde. Ich hätte überhaupt nicht zu Rita gehen dürfen. Aber ich habe es nicht ausgehalten.«
Nastja blickte ihn zweifelnd an, sagte aber nichts. Pawel machte auf sie nicht den Eindruck eines Mannes, der aus Sehnsucht nach einer Frau seine Sicherheit vergaß. Aber man konnte nie wissen. . . Schließlich kannte sie ihn ja so gut wie gar nicht.
»Und wie wollen Sie nun zu einem Alibi kommen?«, fragte sie. »Wenn Sie Minajew nicht verraten wollen, dann gibt es nur einen Ausweg. Sie müssen behaupten, dass Sie einen Pass gestohlen und Ihr Foto eingeklebt haben. Oder dass Sie den Pass bei einer nicht mehr zu identifizierenden Person auf dem Schwarzmarkt gekauft haben. Sie müssen etwas gestehen, das Sie nicht getan haben.«
»Raten Sie mir dazu als Schauspielerin und Hochstaplerin oder als Kripobeamtin?«
»Ich rate Ihnen dazu als Idiotin«, sagte Nastja ärgerlich. »Als hinterletzte Idiotin, die, Gott weiß warum, versucht, Ihnen zu helfen. Womöglich haben Sie Ihre Freundin ja selbst umgebracht. Und ich trinke hier mit Ihnen Kaffee und mache Konversation.«
»Das sollten Sie nicht sagen«, erwiderte Pawel leise. »Sie wissen genau, dass ich sie nicht umgebracht habe.«
»Woher sollte ich das wissen? Warum sollte ich Ihnen glauben?«
»Sie wissen es. Und Sie glauben mir.«
»Hören Sie auf, mich mit Ihren Beschwörungsformeln zu hypnotisieren«, entgegnete Nastja ärgerlich. »Lassen Sie uns gemeinsam die letzte Woche durchgehen, möglichst nach Stunden. Wann genau haben Sie Moskau verlassen? Uhrzeit, Flugnummer, alles ganz präzise.«
Pawel saß mit halb geschlossenen Augen da und rekapitulierte akkurat, wo er im Lauf der letzten Woche gewesen war. Nastja hatte die Tasse mit dem kalt gewordenen Kaffee und dem belegten Brot zur Seite geschoben und machte sich Notizen.
»In Belgorod habe ich im Hotel Junost gewohnt und bin jeden Tag aus der Stadt hinausgefahren, um spazieren zu gehen. Am Montagabend wurde ich krank und verbrachte den ganzen Dienstag im Bett im Hotelzimmer. Am Mittwoch ging es mir wieder besser, und ich fuhr wieder hinaus . . .«
»Kann jemand bezeugen, dass Sie den ganzen Dienstag im Hotelzimmer verbracht haben?«, unterbrach sie Pawel. Das war eine wichtige Frage, denn am Dienstag war Rita Dugenez ermordet worden.
»Die Etagenfrau, das Zimmermädchen. Zum ersten Mal kam das Zimmermädchen gegen elf Uhr, um sauber zu machen, und als sie sah, dass ich im Zimmer war, entschuldigte sie sich und ging wieder. Das zweite Mal erschien sie etwa zwei Stunden später. Sie war beunruhigt und schlug vor, einen Arzt zu rufen. Ich lehnte ab. Sie fing an aufzuräumen, aber ich hatte starke Kopfschmerzen und ging deshalb hinaus in die Halle, wo die Etagenfrau saß. Sie war sehr nett und bewirtete mich mit Tee . . .«
»Glauben Sie, dass die beiden Frauen sich noch an Sie erinnern?«
»Ich denke schon. Das Zimmermädchen auf jeden Fall. Gestern bin ich ihr auf dem Flur begegnet, und sie hat mich gefragt, wie es mir geht.«
»Würden die Frauen Sie auf einem Foto wieder erkennen?«
»Ich hoffe es.«
»Gut.« Nastja erhob sich entschieden. »Bleiben Sie eine Weile hier sitzen, gehen Sie nicht weg. Ich muss kurz telefonieren. Aber ich warne Sie, Pawel, meine Gutgläubigkeit ist nicht grenzenlos. Wenn sich herausstellen sollte, dass Sie mich belügen . . .«
Sie hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. Am liebsten hätte sie so etwas wie »dann werde ich Sie hinter Gitter bringen« oder »das werde ich Ihnen nie verzeihen« gesagt, aber das hätte zu melodramatisch geklungen.
»Was dann?«, fragte Pawel sehr ernst.
»Nichts«, antwortete sie brüsk. »Aber es ist besser für Sie,
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