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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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verstohlen um, fast so, als hätte sie etwas Unanständiges vor, dann holte sie die bedruckten, zusammengehefteten Blätter aus ihrer Handtasche. Diebstähle, Raubüberfälle, Leichen, Vermisstenanzeigen . . . Ihre Augen glitten flüchtig über die Zeilen und blieben nur an bestimmen Sätzen und Wörtern haften, was aber nicht bedeutete, dass Nastja den Lagebericht unaufmerksam las. Alles prägte sich genau in ihr Gedächtnis ein und konnte jederzeit abgerufen und verwertet werden.
    Mit dem Bus hatte sie Glück, sie musste nicht warten und bekam nicht einmal kalte Füße. Zu Hause setzte sie sofort Kaffeewasser auf, machte sich ein paar belegte Brote und ließ sich in der Küche nieder, mit den Beinen auf einem Hocker, in einer Hand ein Käsebrot, in der anderen den Lagebericht. Dieser trockene Text las sich für sie spannender als ein Abenteuerroman.
    Das Läuten des Telefons unterbrach ihre Lektüre.
    »Anastasija Pawlowna?«, sagte eine fremde Männerstimme in der Leitung.
    »Ja, ich höre.«
    »Hier spricht Sauljak.«
    »Pawel?«, rief sie erstaunt aus. Nichts hatte sie weniger erwartet als das. »Was verschafft mir die Ehre?«
    »Ihre Telefonnummer hat mir Minajew gegeben. Ich hoffe, Sie nehmen ihm das nicht übel.«
    »Das weiß ich noch nicht«, erwiderte sie trocken. »Worum geht es denn?«
    »Ich habe eine Bitte an Sie . . . genauer, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Ich würde Ihnen gern einen Auftrag erteilen, wenn das möglich ist. «
    »Das ist problematisch«, sagte Nastja vorsichtig, während sie fieberhaft überlegte, wie sie sich verhalten sollte. »Was ist denn passiert?«
    »Bis jetzt weiß ich es nicht, vielleicht gar nichts. Wissen Sie, meine Freundin . . . Kurz, sie ist verschwunden.«
    »Verzeihen Sie, Pawel, aber das gehört nicht zu meinem Aufgabengebiet. Ich observiere keine nervösen Ehefrauen. Wenden Sie sich an ein Detektivbüro, dort wird man Ihnen helfen.«
    »Sie verstehen mich nicht«, sagte er mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. »Ich verdächtige sie nicht, ich fürchte, dass ihr etwas zugestoßen ist.«
    »Welchen Grund haben Sie zu dieser Annahme?«
    »Sie nimmt das Telefon nicht ab, selbst nachts nicht. Und Sie brauchen mir jetzt nicht zu sagen, dass sie bei einem anderen Mann übernachtet. Ich weiß, dass das nicht der Fall ist, dazu kenne ich sie zu gut.«
    »Vielleicht ist ihr Telefon gestört. Haben Sie noch nicht an der Wohnungstür geklingelt?«
    »Nein. Wissen Sie, ich bin nicht in Moskau . . . ich musste in geschäftlichen Angelegenheiten verreisen.«
    »Heißt das, Sie möchten, dass ich zu ihr nach Hause fahre und an ihrer Tür läute?«
    »Ja, genau das möchte ich. Können Sie das für mich tun? Ich werde Sie für Ihre Bemühung natürlich bezahlen.«
    »Nun gut, nehmen wir an, ich fahre zu ihrer Wohnung, läute an der Tür, und sie öffnet mir. Was weiter? Was soll ich ihr sagen?«
    »Wenn sie zu Hause ist, dann fragen Sie sie einfach, ob alles in Ordnung ist und warum sie das Telefon nicht abnimmt. Nastja. . .« Es entstand eine Pause in der Leitung. Nastja wartete.
    »Bitte. Tun Sie mir den Gefallen. Ich bezahle Ihnen so viel Sie verlangen.«
    Nastja wollte ablehnen, aber plötzlich stieg wieder die qualvolle Unruhe in ihr auf, die sie schon seit ihrer Rückkehr aus Samara peinigte. Was bohrte so in ihr? Konnte vielleicht Pawels Freundin ihr helfen, das herauszufinden?
    »Also gut«, sagte sie mit einem Seufzer. »Geben Sie mir die Adresse, den Namen und die Telefonnummer.«
    »Rita Sergejewna Dugenez, Sewastopolskij-Boulevard 44 . . .«
    »Wie sagten Sie«, unterbrach ihn Nastja. »Rita Sergejewna Dugenez?«
    Diesen Namen hatte sie eben im Lagebericht gelesen, buchstäblich vor zehn Minuten. Sie blätterte hastig die Seiten um, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Ja, hier war sie. R. S. Dugenez, Sewastopolskij-Boulevard 44.
    »Pawel«, sagte sie, »Sie sollten so schnell wie möglich nach Moskau zurückkommen.«
    »Warum?«
    »Glauben Sie mir, es ist besser so. Man wird Sie spätestens morgen sowieso zu suchen beginnen.«
    »Aber warum denn?«
    »Ihrer Freundin ist wirklich etwas zugestoßen. Sie wurde ermordet. Pawel, hören Sie . . .«
    Im Hörer ertönte ein unterdrücktes Aufstöhnen, dann folgte das Besetztzeichen. Pawel hatte aufgelegt.
    Eine schöne Geschichte! Zuerst schoss Nastja durch den Kopf, dass Pawel seine Rita Dugenez umgebracht hatte und nun herausfinden wollte, ob die Miliz die Leiche gefunden hatte. So etwas kam öfter vor. Aber . . .

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