Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
unternehmen. Sie haben die Leiche ins Leichenschauhaus gebracht und darauf gewartet, dass eine Vermisstenmeldung eingeht. Diese Schafsköpfe! Kein Wunder, dass Knüppelchen so wütend ist.«
»Und wer hat unseren Grauhaarigen schließlich als vermisst gemeldet? Seine Verwandten?«
»Nein, stell dir vor, es waren Nachbarn. Er hat nämlich zwei Hunde, irische Setter. Und die wollen natürlich fressen und Gassi geführt werden. Zuerst haben sie gebellt und geheult und schließlich nur noch gewinselt. Die Nachbarn wurden unruhig, sie wussten ja, dass in der Wohnung ein allein stehender Mann wohnte, und wenn die Hunde sich so aufführten, musste etwas passiert sein. So war es dann ja auch.«
In diesem Augenblick warf Viktor Alexejewitsch den Hörer auf die Gabel, er hatte den Kollegen aus der Kreisverwaltung alles gesagt, was er über sie dachte, und wischte sich mit einem riesigen Taschentuch den Schweiß von der Glatze.
»Da bist du ja endlich«, brummte er. »Und ich habe schon gedacht, du bleibst für immer weg. Hat Konowalow versucht, dich abzuwerben?«
»Ja, hat er. Aber ich bin standhaft geblieben, ich habe mich nicht ergeben.«
»Und was ist mit dem Team? Willst du mitarbeiten, oder hast du auch das abgelehnt?«
»Nein, ich habe zugestimmt. Hätte ich ablehnen sollen?«
»Nein, nein«, sagte Viktor Alexejewitsch zerstreut. Nichts auf der Welt schien ihn in diesem Moment weniger zu interessieren als Nastjas Mitarbeit im Team des Ministeriums.
Ersten Erkenntnissen zufolge handelte es sich bei dem in Krylatskoje ermordeten Mann um Konstantin Fjodorowitsch Rewenko, ledig, arbeitslos. Die Nachbarn hatten ihn als ruhigen, unauffälligen Mann beschrieben. Nach der Wohnungseinrichtung zu urteilen, handelte es sich um einen durchaus wohlhabenden Mann, der allerdings auf allen neureichen Schick verzichtet hatte. Die teuren, sorgfältig gepflegten Gewehre besagten, dass er die Jagd liebte, wovon auch die Tatsache zeugte, dass er zwei Jagdhunde besessen hatte. Frauenkleider oder andere weibliche Accessoires waren in seiner Wohnung nicht zu finden, woraus sich der Schluss ziehen ließ, dass er nie für längere Zeit Damenbesuch gehabt hatte. Rewenko war kurz vor seinem Tod tatsächlich für drei Tage weggefahren, er hatte den Nachbarn die Wohnungsschlüssel dagelassen und sie darum gebeten, nach den Hunden zu sehen.
»Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte Nastja ratlos. »Was könnte dieser Rewenko mit einem so gerissenen Kerl wie Asaturjan gemeinsam haben? Weiß man wenigstens, was er von Beruf war?«
»Du hast vielleicht Wünsche!«, spottete Korotkow. »Bedanke dich dafür, dass wir jetzt wenigstens seinen Namen und seine Adresse wissen. Einzelheiten erfahren wir frühestens in zwei Tagen. Aber du hattest Recht. Mit diesem Rewenko stimmt tatsächlich etwas nicht. Die Jungs, die seine Wohnung aufgebrochen haben, haben so gut wie keine Papiere gefunden. Quittungsblöcke für Miete, Strom und Telefon und zwei Sparbücher, ein Rubel- und ein Devisenkonto. Sonst nichts. Seinen Pass kann er bei sich gehabt haben, und der Mörder hat ihn an sich genommen. Aber wo ist alles andere? Kein Arbeitsbuch, keine Geburtsurkunde, keinerlei Zeugnisse oder Diplome. Einfach überhaupt nichts. Hat er das alles versteckt, oder hat man es ihm gestohlen?«
»Oder es existiert überhaupt nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Einfach so. Es existiert nicht und basta. Diese Geschichte gefällt mir nicht, Jura. Wir müssen so schnell wie möglich Rewenkos Biographie erkunden. Ich habe das Gefühl, diese Leiche wird uns noch lange Wochen beschäftigen.«
Vor dem Nachhausegehen holte Nastja sich den Lagebericht aus dem Büro des Bereitschaftsdienstes. Am Morgen war es ihr nicht gelungen, ihn durchzusehen, nun wollte sie es zu Hause nachholen. Alexej war heute bei seinen Eltern in Shukowskij, die alten Leute ließen ihre Wohnung renovieren, und Alexej musste ihnen helfen, die Möbel von einem Zimmer ins andere zu schleppen, um Platz für die Arbeiter zu schaffen. Während Nastja in der Metro saß, freute sie sich bereits auf den langen stillen Abend für sich allein, sie stellte sich genüsslich vor, wie sie eine Tasse Kaffee trinken, ein paar belegte Brote essen und sich danach an den Computer setzen würde, um den Lagebericht auszuwerten. Das Abteil war fast leer, niemand saß neben Nastja, und sie konnte der Versuchung nicht widerstehen. In allem, was ihre Arbeit betraf, war sie neugierig und ungeduldig wie ein Kind. Sie blickte sich
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