Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
zusammenfassen und dem noch die Leichen von Rewenko und Asaturjan hinzufügen. Ein reizendes Potpourri!
Der Kripobeamte, der nach Belgorod gereist war, teilte enttäuscht mit, dass die Angestellten des Hotels Junost den Mann auf dem Foto sofort erkannt und bestätigt hatten, dass er den ganzen Dienstag in seinem Hotelzimmer verbracht hatte.
»Schade«, meinte der Beamte düster, »es war eine so schöne Version. Ein Vorbestrafter, der gerade aus dem Lager entlassen wurde, rechnet mit seiner Freundin ab, weil sie ihm in der Zeit seiner Abwesenheit nicht treu war. Und schon wäre der Mordfall gelöst gewesen.«
»Mach dir nichts daraus«, ermunterte ihn Nastja, »habt ihr denn keine anderen Versionen in petto?«
»Doch, aber die sind alle mit einer Menge Arbeit verbunden. Wirklich verdammt schade, dass Sauljak als Täter ausscheidet.«
Nastja verstand ihren Kollegen, und gleichzeitig freute sie sich. Es hätte sie sehr enttäuscht, wenn Pawel sie angelogen hätte. Nicht deshalb, weil er ihr sympathisch war und sie ihn vor dem Gefängnis bewahren wollte, mitnichten. Das Gegenteil war der Fall. Sie fühlte sich unwohl in seiner Gesellschaft, sie spürte immer die Gefahr, die von ihm ausging. Manchmal war er ihr so fremd wie ein Wesen von einem andern Stern. Aber sie wollte nicht belogen werden, und schon gar nicht von Sauljak. Vielleicht deshalb, weil sie ihm nicht glauben wollte und selbst nicht verstand, warum sie es trotzdem tat.
»Man bittet Sie, noch zwei, drei Tage in Moskau zu bleiben«, sagte sie zu Pawel, »es könnte sein, dass man noch Fragen an Sie hat und Sie deshalb noch brauchen wird.«
»Und danach darf ich wieder wegfahren?«
»Ja. Falls nichts Unvorhergesehenes passiert.«
Sie hatten sich auf dem Lenin-Prospekt getroffen. Nastja kam aus dem Ministerium, man hatte sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass in Konowalows Vorzimmer ein großes Kuvert für sie hinterlegt war. Sie hatte das Kuvert abgeholt, war aber noch nicht dazu gekommen, es zu öffnen, da sie ohnehin zu spät zu der Verabredung mit Pawel kam.
»Soll ich Sie irgendwo hinbringen?«, fragte er und deutete mit dem Kopf auf seinen funkelnden Saab.
Nastja schüttelte den Kopf.
»Nicht nötig, ich nehme die Metro.«
Der Gedanke daran, sich mit Sauljak in einen engen, abgeschlossenen Raum zu begeben, in diesem Fall in das Innere eines Autos, erzeugte diffuses Entsetzen in ihr. Habe ich denn wirklich dermaßen Angst vor ihm?, fragte sie sich ärgerlich. Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Pawel ergriff plötzlich ihr Handgelenk und drückte es schmerzhaft zusammen.
»Schnell ins Auto«, murmelte er kaum hörbar.
Nastja wollte sich umsehen, aber Pawels Gesichtsausdruck sagte ihr, dass keine Zeit zu verlieren war. Sie tauchte in das warme Innere des komfortablen Saab ein, in dem es noch ganz unverkennbar nach neuem Auto roch. Pawel fuhr so scharf an, dass die Reifen aufquietschten. Es war Stoßzeit, und Nastja fragte sich, wie Pawel es in Anbetracht der völlig verstopften Straßen schaffen wollte, seinen Verfolgern zu entkommen. Aber Sauljak kannte Moskau offenbar sehr gut. Er bog blitzschnell in irgendwelche Gassen ab, steuerte das Auto geschickt durch schmale Durchfahrten und offene Höfe. Nastja hasste schnelles Autofahren, sie saß zusammengekauert auf dem Sitz, mit eingezogenem Kopf und zusammengekniffenen Augen. Endlich verlangsamte Pawel die Fahrt, sie begriff, dass sie die Augen wieder öffnen und sich langsam entspannen konnte.
»Was ist passiert?«, fragte sie, während sie sich umsah und zu verstehen versuchte, wo sie sich befanden. Die Gegend war ihr völlig unbekannt, aber die vielen rauchenden Schlote besagten, dass es sich um ein Industriegebiet irgendwo am Stadtrand handeln musste.
»Haben Sie es nicht bemerkt? Unsere Freunde aus Samara. Wie hießen sie noch, Kolja und Serjosha? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich lege keinen Wert darauf, ihnen zu begegnen. Übrigens«, er lachte ungut auf, »schließe ich nicht aus, dass Sie mir die beiden auf den Hals gehetzt haben.«
»Wozu hätte ich das tun sollen?«, fragte Nastja mit einem gleichmütigen Schulterzucken. Nach der halsbrecherischen Autofahrt steckte ihr die Angst noch in den Knochen, deshalb kam sie gar nicht auf die Idee, Pawel seinen Verdacht übel zu nehmen. »Ich kenne doch Ihre Adresse. Wozu sollte so ein Aufwand gut sein?«
»Das ist auch wieder wahr. Aber Sie haben eine sehr eigenwillige Logik, bei Ihnen kann man nie wissen. Außerdem ist es
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