Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
vor der Arbeit?«
»Ljoschenka, Lieber, entschuldige bitte«, rief sie zurück. »Bei mir brennt es gerade wieder einmal. Nur fünf Minuten, ja?«
Ljoscha erwiderte etwas, aber Nastja hörte nicht mehr hin, sie wählte bereits Korotkows Privatnummer. Er war nicht zu Hause, seine Frau Ljalja teilte mürrisch mit, dass er immer noch im Dienst war. Aber auch in seinem Büro in der Petrowka nahm er nicht ab. Nastja legte enttäuscht wieder auf und ging langsam zurück in die Küche. Das Gemüse stand bereits auf dem Herd und verbreitete sein köstliches Aroma in der Wohnung. Ljoscha hatte sich erneut in sein Buch vertieft. Sie setzte sich ihm gegenüber, streckte die Beine aus und steckte sich eine Zigarette an.
Pawel hatte sich schlecht gefühlt und war hinausgegangen, zur Toilette. Und er war ziemlich lange nicht zurückgekommen. Und zuvor hatte er ganz offensichtlich nach jemandem gesucht. Das war nicht zu übersehen gewesen. Schon in der Bierbar hatte er Ausschau nach jemandem gehalten. Und Nastja hatte das Gefühl gehabt, dass er gefunden hatte, was er suchte. Warum hatte sie dieser Tatsache nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt? Warum hatte sie das sofort wieder vergessen? Weil es in diesem Moment nur darum gegangen war, Pawel vor Tschinzows Leuten zu retten. Und währenddessen war Pawel hinausgegangen, um jemanden umzubringen, und sie, die Majorin der Miliz, die leitende Kripobeamtin, saß direkt neben dem Tatort und deckte den Mörder. Hätte sie sich nicht an den Tisch zu Tschinzows Leuten gesetzt, um sie abzulenken, wären sie Pawel mit Sicherheit gefolgt, und dann hätte es nicht zu dem Mord kommen können. Eine schöne Geschichte!
Aber war es wirklich so gewesen? Nein, purer Unsinn. Sie waren gar nicht in der Bar mit dem romantischen Namen Caravella, sondern in irgendeiner ganz anderen. Und Sauljak hatte niemanden umgebracht. Ihm war wirklich schlecht geworden, das hätte selbst ein Blinder gesehen. Schon vorher im Hotel war er leichenblass gewesen und hatte ständig geschwitzt. Der Mörder war nicht Pawel. Es handelte sich um eine zufällige zeitliche Übereinstimmung.
Plötzlich verschloss sich ihr Hals in einem Krampf, sie hatte den Rauch in die falsche Kehle bekommen und begann zu husten. Später dann, nachts, hatte Pawel sie gebeten, sich neben ihn aufs Bett zu setzen, und er hatte ihr geschworen, sie niemals zu kränken. Warum auf einmal so viel Sentimentalität? Hatte er sie zur Mordkomplizin gemacht und bat sie nun quasi um Verzeihung? Und vor kurzem hatte sie ihm erlaubt, in ihrer Wohnung zu übernachten. Eine ganze Nacht allein mit einem Mörder! Du bist nicht mehr zu retten, Kamenskaja!
Hör auf, wies Anastasija sich zurecht. Das sind alles nur Vermutungen. Bis jetzt weißt du noch gar nichts. Und selbst, wenn es tatsächlich dieselbe Bar war, wurde der Mord vielleicht begangen, nachdem ihr schon gegangen wart. Du hast nicht auf die Uhr gesehen und weißt nicht, wann ihr die Bar verlassen habt. Und selbst, wenn Ort und Zeit übereinstimmen sollten, heißt das noch nicht, dass Pawel wirklich der Mörder ist. Steigere dich in nichts hinein. Denk nach, denk noch einmal genau nach über alles und prüfe die Details.
Nastja versuchte mit aller Kraft, den schrecklichen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Aber je mehr Mühe sie sich gab, desto deutlicher schien es zu werden. Pawel Sauljak war der Henker.
SIEBZEHNTES KAPITEL
Anton Andrejewitsch Minajew zog seinen Anzug aus, schlüpfte in eine Sporthose und einen Pullover und wollte sich gerade zum Abendessen hinsetzen, als es an der Tür läutete.
»Bleib sitzen, ich gehe aufmachen«, sagte seine Frau mit einer Handbewegung in Richtung des gedeckten Tisches.
Anton Andrejewitsch erreichten Stimmen aus dem Flur, eine der Stimmen gehörte seiner Frau, die andere kannte er nicht, aber es war ebenfalls die einer Frau. Wahrscheinlich eine Nachbarin, dachte er, sie will sich Salz oder Streichhölzer ausleihen. Er war bereits dabei, seinen Teller mit Borschtsch zu füllen, als seine Frau in die Küche zurückkam.
»Anton, komm doch bitte einmal kurz an die Tür.«
Er runzelte etwas ärgerlich die Stirn, stellte den Teller wieder ab und ging hinaus auf den Flur. Die Frau, die er vor sich sah, gefiel ihm auf den ersten Blick. Sie war etwa dreißig Jahre alt, trug eine Hose und eine lange Stoffjacke. Sie hatte ein sehr hübsches Gesicht und wirkte irgendwie verschämt.
»Guten Tag«, sagte sie schüchtern. »Ich wohne nebenan, im Nachbarhaus. Ich
Weitere Kostenlose Bücher