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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Mannes gestoßen, um uns in die Irre zu führen, uns genau da suchen zu lassen, wo wir den Mörder niemals finden werden. Aber im Fall des Grauhaarigen liegen die Dinge anders. Entweder kannte er seinen Mörder so gut, dass wir nach der Identifizierung des Opfers sofort auch den Mörder gefunden hätten, oder da ist noch etwas anderes im Spiel. Aber auf jeden Fall ist da etwas, Jura, das steht fest. Ich spüre es.«
    * * *
    Pawel fühlte sich sehr schlecht, aber er wusste, dass es bald wieder vergehen würde, er musste sich nur ein wenig gedulden. Er verfügte über dieselbe Gabe wie alle Mitglieder seiner Gruppe, aber bei ihm war diese Gabe sehr viel schwächer ausgeprägt. Er konnte einen Menschen dazu bringen, dass er erstarrte, sich entspannte und seinen Widerstand aufgab, aber das bedurfte bei ihm kolossaler Anstrengung, es kostete ihn so viel Kraft, dass er danach lange brauchte, um sich wieder zu erholen. Das, was sogar Rita mit Leichtigkeit zustande brachte, war bei ihm das Äußerste seiner Möglichkeiten. Und die Fähigkeit, jemanden in ein willenloses Objekt seiner eigenen Wünsche und Befehle zu verwandeln, ging Pawel Sauljak gänzlich ab.
    Pawel war in Ungarn geboren, sein Vater war dort Militärattache gewesen, seine Kindheit verbrachte Pawel in der engen, abgeschlossenen Welt des sowjetischen Botschaftsviertels. Sein Vater, ein Berufsoffizier, erzog ihn von klein auf zu Disziplin und impfte seinem Sohn ein, dass die bestehende Ordnung für immer unerschütterlich bleiben musste, weil es so für alle am besten, am gesündesten und am praktischsten war. Und der Junge glaubte ihm. Er glaubte ihm von ganzem Herzen und überzeugte sich Tag für Tag davon, dass sein Vater Recht hatte.
    In jenen Jahren trug er den Namen Wolodja, und auch sein Familienname war ein ganz anderer. Er war ein begabtes, fröhliches, kommunikatives Kind, das von Anfang an zweisprachig aufwuchs. Er besuchte nicht die russische Schule für die Kinder der Botschaftsangehörigen, sondern eine ungarische Eliteschule, an der die Kinder der Staats- und Partei-Elite unterrichtet wurden. Wolodja schloss dort viele Freundschaften, was dazu führte, dass auch die Eltern der Kinder sich nach und nach kennen lernten.
    Nach Ungarn kam die Tschechoslowakei, von wo die Familie 1968, nach dem Prager Frühling, endgültig nach Moskau zurückkehrte. Wolodja war zu dieser Zeit achtzehn Jahre alt, er hatte gerade die Schule abgeschlossen und sprach fließend Ungarisch und Tschechisch. Er war für ein Studium an der Hochschule des KGB prädestiniert, aber um dort aufgenommen zu werden, musste er erst den Armeedienst ableisten. Davor hatte Wolodja keine Angst, er war gesund, kräftig und gewöhnt an Disziplin.
    Er diente sehr gut und sogar mit Begeisterung. Das, was die anderen Soldaten verfluchten, machte ihm überhaupt nichts aus. Weckappell und Zapfenstreich, strapaziöse sportliche Übungen, das Büffeln von Dienstvorschriften, das Scheuern von Fußböden -alles das nahm er mit Gelassenheit hin und empfand dabei keinerlei Unbehagen. Er hatte schon von jeher so gelebt, er kannte nichts anderes. Sein Vater hatte ihn dazu erzogen, sich Erwachsenen widerspruchslos unterzuordnen und sich eisern an Disziplin und Ordnung zu halten. Man brauchte über nichts nachzudenken, keine Entscheidungen zu treffen, denn über alles hatten bereits andere nachgedacht und entschieden. Wolodja kam das entgegen. Er hatte eine lebhafte, stark ausgeprägte Phantasie und war froh, dass er sich nicht mit banalen alltäglichen Entscheidungen herumschlagen musste, denn er brauchte seine ganze Zeit und Energie für das Leben in seiner hermetisch abgeschlossenen, schillernden Innenwelt.
    Nach dem Armeedienst begann das Studium an der Hochschule. Auch hier gab es keine Probleme mit Disziplin und Lehrstoff. Wolodja war begabt, er besaß eine gute Auffassungsgabe, ein ausgezeichnetes Gedächtnis und Talent für Fremdsprachen. Der ehemalige sowjetische Botschafter in der Ungarischen Volksrepublik war bereits seit 1967 KGB-Vorsitzender, und da ihn mit Wolodjas mittlerweile verstorbenem Vater eine persönliche Freundschaft verbunden hatte, bekam der junge Offizier nach Abschluss seines Studiums einen Posten im Verwaltungsapparat des KGB. Der Vorsitzende nutzte Wolodjas spezifische Fremdsprachenkenntnisse und setzte ihn des Öfteren als Dolmetscher bei wichtigen Besprechungen ein.
    Eines Tages erfuhr Wolodja ganz zufällig, dass in seiner Behörde ein hoch geheimes Labor existierte, in dem

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