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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Geschmack.
    Und schließlich geschah es, dass der Vorsitzende beschloss, eine operative Dienststelle für die Länder des Warschauer Paktes einzurichten. Einer der ersten, die er zur Mitarbeit in dieser Dienststelle heranziehen wollte, war natürlich Wolodja.
    »Du kannst wählen, in welcher Gruppe du arbeiten möchtest, in der ungarischen oder in der tschechischen«, bot der Vorsitzende dem frisch gebackenen Major an, ihm damit seine Großherzigkeit und Loyalität demonstrierend. »Da du beide Sprachen fließend sprichst, überlasse ich die Entscheidung dir.«
    Wolodja versuchte, sich mit einem Scherz aus der Affäre zu ziehen. Das Angebot kam überraschend und gefiel ihm ganz und gar nicht. Aber der Vorsitzende ließ nicht mit sich scherzen. Er meinte es ernst mit seinem Angebot.
    »Bitte verstehen Sie mich doch«, begann Wolodja sich zu ereifern, »ich kann das nicht tun. Ich kann doch nicht gegen Menschen arbeiten, bei denen ich als Kind auf dem Schoß gesessen habe. Es handelt sich schließlich um die Eltern meiner einstigen Schulfreunde, ich habe mit ihren Kindern gespielt und wurde zu ihren Geburtstagen eingeladen. Und nicht zuletzt waren sie die Freunde meines Vaters.«
    »Dein Vater, Gott hab ihn selig, war mit diesen Leuten nicht befreundet, er hat gegen sie gearbeitet. Es wird Zeit, dass du das erfährst, mein Junge. Diese Leute sind Katholiken, sie haben ein anderes Denken und können sich in jedem Augenblick als unsere Gegner erweisen. Das hat dein Vater niemals vergessen. Genau deshalb hat er dich auch nicht auf die russische Botschaftsschule geschickt, sondern auf die ungarische. So hat er die Eltern deiner Schulfreunde kennen gelernt, er bekam Zugang zu privaten ungarischen Kreisen und führte auch andere Botschaftsmitglieder in diese Kreise ein. Du musst das Werk deines Vaters fortsetzen.«
    »Warum haben denn dann andere Botschaftsmitglieder ihre Kinder nicht auch auf die ungarische Schule geschickt?«, fragte Wolodja misstrauisch.
    Der Vorsitzende lächelte kaum merklich, nur mit einem Mundwinkel.
    »Weil die Kinder der anderen dumm, faul und desinteressiert waren. Sie waren nicht in der Lage, Ungarisch zu lernen, deshalb besuchten sie die russische Botschaftsschule. Du hingegen warst sehr sprachbegabt. Als dein Vater und ich das bemerkten, beschlossen wir, das für unsere Zwecke zu nutzen. Ich hoffe, du nimmst uns das nicht übel, mein Junge. Schließlich warst du so das einzige Botschaftskind, das sich frei und ohne alle Einschränkungen in der Stadt und sogar über ihre Grenzen hinaus bewegen konnte, während alle anderen Kinder das Botschaftsgelände nur zusammen mit ihren Eltern verlassen durften. Im Gegensatz zu ihnen hast du deine Kindheit und Jugend im wahrsten Sinne des Wortes im Westen verbracht. Meinst du nicht, dass es Zeit wird, eine Gegenleistung für dieses Geschenk zu erbringen?«
    »Bitte, ich bitte Sie . . . zwingen Sie mich nicht. Schicken Sie mich in eine beliebige andere Gruppe, setzen Sie mich ein, wo Sie wollen, in jedem anderen Land, nur bitte nicht in Ungarn und nicht in der Tschechoslowakei.«
    »Entweder Ungarn oder die Tschechoslowakei«, sagte der Vorsitzende kalt. »Entscheide dich.«
    Alles in Wolodja zog sich zusammen vor Schmerz und Hass. Sie hatten ihn für ihr Spiel benutzt, als er noch ein Kind war. Und jetzt wollten sie ihn erneut benutzen, wollten alles aus ihm herauspressen, was sie nur konnten. Der Hass brannte ihm hinter den Augen, in den Handflächen, hinter der Stirn und brach durch die Poren der Haut. Er hob die Augen und sah den Vorsitzenden an. Es waren nur einige Sekunden, aber sie genügten.
    »Ich werde mich weder in Ungarn noch in der Tschechoslowakei einsetzen lassen«, sagte er leise, langsam und sehr deutlich. Dann erhob er sich und verließ das Büro des Vorsitzenden, sorgfältig die Tür hinter sich schließend.
    Seltsamerweise geschah nichts. Die Erde tat sich nicht auf, kein Blitz traf ihn. Er wurde nicht einmal entlassen. Der Vorsitzende rief ihn nicht mehr zu sich und machte ihm auch keine weiteren Angebote.
    Drei Monate später kam ein Anruf aus dem KGB-Hospital. Man bat, einen Offizier mit Fremdsprachenkenntnissen vorbeizuschicken. Der Rettungswagen habe einen Mann eingeliefert, dem auf der Straße schlecht geworden war, offenbar hatte man ihn verprügelt. Er hatte keine Papiere bei sich und sprach kein Russisch. Der Dienstleiter schickte Wolodja zum Hospital und bat ihn, die Angelegenheit zu klären.
    Im Hospital brachte man Wolodja zum

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