Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
haben wir etwas erfahren, das man bisher sorgsam geheim gehalten hat. Ein Mann des Präsidenten hat sich das Leben genommen, ein gewisser Jewgenij Schabanow. Und das bringt mich auf sehr traurige Gedanken.«
»Wollen Sie damit sagen, dass nun, nachdem man mit Malkows Leuten kurzen Prozess gemacht hat, jemand damit begonnen hat, die Reihen des Präsidententeams zu lichten?«
»Was sollte ich sonst damit sagen wollen?«, fragte der Oberst grimmig. »Bist du etwa anderer Meinung?«
»Das weiß ich noch nicht. Wann ist das passiert?«
»Am sechzehnten Februar, am Tag nach dem historischen Auftritt unseres Präsidenten.«
»Dann sieht es nicht danach aus«, widersprach Nastja. »Heute ist bereits der sechsundzwanzigste. Wenn es in allen Fällen dieselben Täter sind, dann hätten sie in zehn Tagen mindestens fünf bis sechs Leute umgebracht. Malkows Team haben sie doch praktisch innerhalb einer Woche ausgesiebt. Aber etwas verstehe ich trotzdem nicht, Viktor Alexejewitsch. Wenn das Präparat in größeren Mengen hergestellt wird, wofür wird es dann verwendet? Hat man in all den Jahren nur zwei Leute damit umgebracht? So viel Aufwand und nur zwei praktische Anwendungen in so langer Zeit? Daran glaube ich nicht.«
»Ich warte schon die ganze Zeit, dass du danach fragst«, sagte Gordejew. »Es ist richtig, dass du nicht daran glaubst. Aber zwei Fälle haben wir ja nur in Moskau. Wie viele sind es im ganzen Land und erst recht in der gesamten GUS? Der Informationsfluss stockt jetzt überall, die Verbindungen zwischen den Dienststellen sind unterbrochen. Ich habe auf gut Glück zwei Kollegen in zwei verschiedenen Regionen Russlands angerufen. Und beide hatten in letzter Zeit mit mehreren Selbstmordfällen zu tun, in denen unbekanntes Gift in Tablettenform zum Tod geführt hat. Da es sich in allen Fällen eindeutig um Selbstmord handelte, ist man der Sache nicht weiter nachgegangen. Die Sachverständigen hatten festgestellt, dass schnell wirkendes Gift verwendet wurde, und sich damit zufrieden gegeben. Niemand hat danach gefragt, woher die Leute diese Tabletten hatten. Um solche Dinge kümmert sich doch heute keiner mehr. Aber wenn sie alle, einschließlich Jurzew, tatsächlich Selbstmord begangen haben, dann muss doch irgendwo dieses Schwein sitzen, das Gift herstellt und die Leute damit versorgt. Warum hat nie jemand danach gefragt? Weil heutzutage einfach allen alles schnuppe ist.«
Gordejew hatte sich wieder in Rage geredet, und Nastja begriff jetzt, warum er von Anfang an so verärgert gewesen war. Wahrscheinlich hatte er bereits Mischa Dozenko dasselbe erzählt.
Mischa hatte ebenfalls keine guten Nachrichten. Niemand hatte auf dem Empfang einen hoch gewachsenen Mann mit grauen Haaren und funkelnden schwarzen Augen gesehen, weder ihn noch einen kleinen sympathischen Armenier. Aufgefallen war allerdings ein anderer Mann, einer, den niemand gekannt hatte. Mittelgroß, etwas füllig, langes gelocktes Haar und eine getönte Brille. Aber damit konnte Nastja bis jetzt nicht viel anfangen . . .
* * *
Als sie Gordejews Büro verließen, war es bereits fast sieben Uhr abends. Korotkow folgte Nastja in ihr Büro.
»Warum hört man nichts von deinen Gerichtsmedizinern?«, fragte sie, während sie den Wasserkocher anstellte. »Du hast doch geschworen, dass sie Asaturjan außer der Reihe obduzieren werden.«
»Du scheinst auf dem Mond zu leben, Nastja«, empörte sich Jura. »Ich habe ihnen doch lediglich eine einzige Flasche mitgebracht. Das bedeutet, dass wir innerhalb der nächsten zehn Tage drankommen. Sofortige Obduktion hätte mindestens fünf Flaschen gekostet. So viel Geld habe ich nicht.«
»Gut, wenden wir uns jetzt erst einmal Schabanow zu. Obwohl uns natürlich kein Mensch irgendwelche Auskünfte über ihn geben wird. Mir scheint, in so einer Zwickmühle waren wir schon lange nicht mehr. Eine Leiche nach der andern, und wir kommen keinen einzigen Schritt weiter. Die Identität des Grauhaarigen ist uns immer noch unbekannt. Ebenso die Umstände von Jurzews Tod. Warum Basanow diesen Lutschenkow erschossen hat, wissen wir auch nicht. Und jetzt auch noch dieser Schabanow . . .«
Nastjas Wortschwall wurde vom Läuten des Telefons unterbrochen.
Es war für Jura. Er nahm den Hörer, und nachdem der Anrufer sich gemeldet hatte, zwinkerte er Nastja zu. Seinen kurzen Repliken konnte Nastja nicht entnehmen, worum es ging. Endlich legte er wieder auf und sah Nastja mit einem breiten Grinsen an.
»Siehst du, und du hast
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