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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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scheußlich schwülwarm war. Das Hemd klebte ihm am Rücken, unter den leichten Hosenbeinen rannen ihm kitzelnde Schweißtropfen die Beine hinunter. Dozenko setzte sich in eine Ecke, versuchte, seinen Missmut zu verdrängen, und ging Pawlows Aussagen im Kopf noch einmal durch, um der Kamenskaja das Gespräch so präzise wie möglich wiedergeben zu können. Dozenko hatte einen Heidenrespekt vor Nastja und genierte sich fürchterlich, dass sie ihn siezte. Es erschien ihm frevelhaft, dieses hoch intellektuelle Geschöpf mit Nastja anzureden.
    Ein Widerling, dieser Pawlow! »Irina und ich kennen uns schon lange. Als sie an ihrer Doktorarbeit schrieb, war sie mehrfach bei uns in Sibirien, um Material zu sammeln. Ich habe sie natürlich nach Kräften unterstützt, Sie wissen ja, ohne einen Anruf von oben bekommt man nirgends eine Information. Und wird schon gar nicht in eine Strafkolonie reingelassen, und sie musste unbedingt mit Gefangenen sprechen. Als ich dann beschloss, eine Doktorarbeit zu schreiben, damals war ich bereits Leiter der Ermittlungsabteilung, hat Irina mich beraten, mir Literatur empfohlen. Wir sind also alte Bekannte. Und im vorigen Jahr, als ich nach Moskau versetzt wurde, erneuerten wir unsere Freundschaft. Nicht sofort, ja, das stimmt, ich musste um Irina kämpfen, sie erobern . . .« Ich, Ich, Ich! Als wäre Dozenko nicht gekommen, um über die tote Frau zu sprechen, sondern um eine Biographie über Alexander Pawlow zu schreiben, den aufrichtigen Kämpfer gegen die Kriminalität! Ja, nach Eifersucht roch es hier nicht. Dieses eingebildete Männchen kam gar nicht auf den Gedanken, hintergangen worden zu sein. Er hatte ehrlich um seine Beute gekämpft, und diese Beute gehört ihm allein. Blieb nur noch zu überprüfen, was er in der Nacht vom zwölften auf den dreizehnten Juni gemacht hatte, und dann konnten sie die Hypothese »Eifersucht« reinen Gewissens begraben.
    Je länger Nastja Dozenkos detailliertem Bericht über das Gespräch mit Pawlow zuhörte, desto mehr versteinerte ihr Gesicht.
    »Dann habe ich mich wohl geirrt.« Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ich danke Ihnen, Mischa.«
    Nastja ärgerte sich nicht, weil ihre Hoffnung auf Pawlow als möglichen Mörder sich zerschlagen hatte. Sie bedauerte, dass sie sich in Irina Filatowa geirrt hatte. Sie legte ihr Foto vor sich hin und betrachtete ihr Gesicht. Kurzes schwarzes Haar, ein modischer Schnitt, hohe Wangenknochen, schön geschnittene Augen, kurze Nase, ein bezaubernder asymmetrischer Mund, ein unbeschreiblich weibliches Lächeln. Solltest du mich wirklich getäuscht haben, Irina, dachte Nastja. Ich hatte das Gefühl, dich zu kennen, als wären wir seit Jahren befreundet. Ich habe fünf Tage über dich nachgedacht und war sicher, deinen Charakter zu kennen. Ich habe in Gedanken mit dir geredet, dir Fragen gestellt und deine Antworten gehört. Dabei bist du in Wirklichkeit ganz anders? Hast nicht nur deine Liebhaber geschickt an der Nase herumgeführt, sondern auch deine enge Freundin Ljudmila Semjonowa belogen, als du ihr sagtest, du würdest eher mit einem Bettler im Fußgängertunnel schlafen als mit Pawlow? Und deinen Chef getäuscht, wenn du wütend ins Institut kamst, ihm erzählt hast, du wärst im Ministerium gewesen und Pawlow hätte dich so geärgert? Aber wo warst du dann wirklich, meine Liebe? Von wem kamst du, einer Hysterie nahe? Was ist dein wahres Gesicht, Irina Filatowa?«
    Seufzend legte Nastja das Foto weg und packte die beiden großen Papiersäcke aus, die den Inhalt von Safe und Schreibtisch der Filatowa enthielten. Bis zum Feierabend hatte sie noch zwei Stunden.
    Bis zum Feierabend am Freitag, dem neunzehnten Juni, blieben noch zwei Stunden. Gordejew war mit den Vorbereitungen für Kowaljows Besuch fertig, sah zur Uhr und entschied, dass heute wohl aus dem Gespräch nichts mehr würde. Er wollte Kowaljow nicht anrufen und vorladen, er wartete darauf, dass er nach seinem nächsten Anruf bei Olschanski selbst auftauchen würde.
    Und Kowaljow tauchte auf. Hager, straff, das volle weizenblonde Haar zurückgekämmt, elegant, trotz der Hitze in einem tadellosen Anzug und mit Krawatte. Der hat bestimmt nicht nur im Büro eine Klimaanlage, sondern auch im Auto, dachte Gordejew. Dem kann keine Hitze etwas anhaben. Macht nichts, bei mir im Büro wirst du schnell ins Schwitzen kommen.
    »Vitali Jewgenjewitsch«, begann Gordejew behutsam, »ich denke, Sie als Vater des Opfers haben ein Recht zu erfahren, was wir tun, um den

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