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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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nahm den Telefonhörer ab.
    »Hallo!«
    »Nastja, Kind, was machst du gerade?«
    »Ich kopiere eine Stute, eine wilde, fuchsrote.«
    »Und? Kriegst du es hin?«, erkundigte Leonid Petrowitsch sich ernsthaft.
    »Noch nicht«, bekannte Nastja. »Ist wohl aussichtslos. Es gibt offenbar Dinge, die sind mir nicht gegeben.«
    »Nicht verzweifeln«, tröstete sie ihr Stiefvater. »Nicht jeder kann schön sein. Dafür funktioniert dein Gehirn bestens.«
    Als Nastja aufgelegt hatte, stellte sie sich erneut vor den Spiegel. Nein, sie würde nie so sein wie die Rothaarige neulich auf dem Boulevard. Die war einfach perfekt, dachte Nastja neidisch. Sie hob den Arm, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, wie sie es bei der Frau gesehen hatte. Sie tastete gründlich ihr Gesicht ab, strich sich über die Wangen und betrachtete ihr Spiegelbild. Alles zu flach, dachte sie, farblos wie ein weißes Blatt Papier.
    Als das Licht in Nastjas Wohnung erlosch, klingelte in einer anderen Wohnung das Telefon. Ein mittelgroßer Mann mit Hornbrille hörte zu und schrieb etwas in sein Notizbuch.

Sechstes Kapitel
    Am Mittwoch fand im Innenministerium eine Pressekonferenz zum Thema Korruptionsbekämpfung statt. Es waren nur wenige Journalisten anwesend, das Medieninteresse an der Arbeit des Ministeriums hatte in letzter Zeit nachgelassen. Der stellvertretende Minister hielt eine Rede.
    »Und nun noch ein Letztes, worüber ich Sie informieren wollte«, kam er zum Schluss seiner Ausführungen. »Unser Ministerium wirkt aktiv mit an der Ausarbeitung eines Gesetzes über den Staatsdienst und eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption. Geleitet wird diese Arbeit von meinem Assistenten, als wissenschaftlicher Berater fungiert der Hauptsachverständige Alexander Jewgenjewitsch Pawlow, der sich seit langem mit dem genannten Problem beschäftigt.«
    Pawlow lächelte kurz und nickte. Sofort schnellte in einer der hinteren Reihen eine Hand hoch.
    »Zeitung ›Kontinent-Express‹. Eine Frage an den Sachverständigen Pawlow. Haben Sie ein wissenschaftliches Konzept zur Bekämpfung der Korruption?«
    »Selbstverständlich. Es wird zwar von vielen angezweifelt, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, meine Kollegen überzeugen zu können.«
    »Bitte, ein paar Worte zu den wichtigsten Punkten Ihrer Theorie.«
    »Das lässt sich mit ein paar Worten schwer erklären, aber in groben Zügen besteht die Idee darin, die Korruption unter wirtschaftlichen Aspekten zu betrachten. Korruption ist im Grunde ein Handel, es gibt also eine Ware, einen Verkäufer und einen Käufer sowie einen Gebrauchswert und einen Verkaufspreis. Das wäre es in Kürze. Wenn Sie sich für Einzelheiten interessieren, können Sie gern zu mir kommen, dann unterhalten wir uns ausführlich darüber.«
    Pawlow dachte strategisch. Er hatte sich die Journalistin angesehen, die die Frage gestellt hatte, und war keineswegs abgeneigt, die Bekanntschaft mit ihr fortzusetzen. Und ein ausführliches Interview wäre auch nicht schlecht.
    Sein wohl gezielter Pfeil traf ins Schwarze – die Journalistin wandte sich gleich nach der Pressekonferenz an ihn.
    »Lebedewa«, stellte sie sich vor und reichte ihm die Hand. »Ich habe Ihnen die Fragen gestellt.«
    »Sehr angenehm.« Pawlow küsste galant die gepflegte Hand mit den langen, bronzefarbenen Fingernägeln.
    »Ich möchte Ihr Angebot gern annehmen. Nennen Sie mir bitte einen Termin.«
    Sie war groß und langbeinig und hielt mühelos mit Pawlow Schritt; sie schien sich gewaltsam zügeln zu müssen, um nicht zu rennen. Pawlow überlegte einen Augenblick, sah zur Uhr und lächelte.
    »Jetzt hätte ich Zeit, wenn Sie möchten. Gehen wir?«
    »Gern.«
    »Tee, Kaffee, Kognak?«, fragte Pawlow zuvorkommend, als sie in seinem Büro saßen.
    »Kaffee und Kognak, wenn das möglich ist«, entschied seine Besucherin.
    Pawlow schaltete die Kaffeemaschine ein, stellte Kognak, Tassen und winzige Kognakschwenker auf den Tisch.
    »Wie heißen Sie?«
    »Larissa.«
    »Na dann, auf unsere Bekanntschaft, Larissa! Also, worüber wollen wir beide reden, schöne Larissa?«
    Die Journalistin lachte. Sie hatte eine tiefe Stimme und ein etwas heiseres Lachen. Sie schüttelte ihre kastanienbraune Mähne, durch die eine schwere Welle lief.
    »Alexander Jewgenjewitsch, ich bin hier, um mit Ihnen über Korruption zu sprechen, und Sie verleiten mich zum Entspannen. Das ist unfair.«
    »Dann reden wir doch über Korruption«, erwiderte Pawlow bereitwillig. »Sie interessieren sich für

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