Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
habe Alina, normalerweise zurückhaltend und beherrscht in ihren Emotionen, sehr nervös und äußerst entschlossen gewirkt.
Und schließlich tauchte noch ein weiterer Name auf. Ein gewisser Charitonow, der ebenfalls bei Sirius arbeitete. Er hatte sich von Alina Wasnis einen größeren Geldbetrag zu fünfzehn Prozent Zinsen pro Monat geliehen und die Rückzahlung mehrere Monate lang aufgeschoben. Gestern, also am Freitag, dem fünfzehnten September, hatte Alina von ihm energisch die sofortige Rückzahlung der gesamten Summe plus Zinsen gefordert.
Das waren also schon drei Verdächtige. Zwei Frauen und ein Mann. Mit wem sollten sie anfangen?
Masurkewitsch
Als die Einsatzgruppe weg war, rief Masurkewitsch Stassow zu sich.
»Kennst du einen von ihnen?«, fragte er.
Stassow nickte. »Zwei. Jura Korotkow und Untersuchungsführer Gmyrja. Die anderen nicht.«
»Was hältst du von ihnen?«
»Ich verstehe die Frage nicht«, antwortete Stassow vorsichtig.
»Können sie die Sache aufklären?«
»Wer weiß das schon, Michail Nikolajewitsch.« Er zuckte die Achseln. »Das kann man vorher nie sagen. Kommt ganz drauf an. Und . . .«
»Hör zu«, unterbrach ihn Masurkewitsch, ohne ihn anzusehen, »leg deine Arbeit erst mal beiseite und finde raus, wo meine Frau gestern Abend war.«
»Schon wieder?«, fragte Stassow mitfühlend.
»Ich habe gesagt, finde es raus. Aber ohne Staub aufzuwirbeln. Schnell und diskret.«
»Mein Gott, Sie haben Sorgen! Eine unserer wichtigsten Schauspielerinnen ist tot, eine junge Frau, und Sie . . .«
»Genau darum geht es mir«, sagte Masurkewitsch hart.
»Sie denken, Ihre Frau hat etwas mit dem Mord zu tun?«, fragte Stassow erstaunt:
»Was ich denke, geht dich nichts an. Finde raus, wo sie gestern war, und zwar möglichst schnell. Nach Hause gekommen ist sie um drei Uhr nachts.«
»Wie Sie meinen.«
Stassow verließ das Büro, ohne sich zu verabschieden, und Masurkewitsch begriff, dass sein Sicherheitschef höchst unzufrieden und beunruhigt war. Masurkewitsch selbst war mehr als beunruhigt. Er war in Panik.
Heute Morgen um neun hatte man ihn aus dem Filmstudio angerufen und ihm mitgeteilt, dass Alina ermordet aufgefunden worden war. Das Klingeln des Telefons hatte Xenija geweckt. Sie hörte das ganze Gespräch mit, und Masurkewitsch bemerkte sehr wohl die Befriedigung, die sich auf ihrem Gesicht spiegelte. Nun gut, es war schließlich kein Wunder, dass eine vierundvierzigjährige welkende Hure eine fünfundzwanzigjährige Schönheit beneidete und sie hasste für ihre Jugend, ihren Ruhm und ihre Attraktivität. Das hatte ihn noch nicht stutzig gemacht. Aber einige Stunden später erfuhr er, dass Alinas Brillanten verschwunden waren. Da erinnerte er sich wieder an Xenijas von Verachtung und kaltem Hass erfülltes Gesicht, als sie ihm die teuren Ohrringe vor die Füße geschleudert hatte, und an ihre Worte: »Steck sie dir sonst wo hin, du impotente Flasche. Damit machst du mir keine Angst. Ich weiß schon, wie ich zu meinen Brillanten komme.« Das blanke Entsetzen packte den Präsidenten des Filmkonzerns Sirius, Michail Masurkewitsch. Ja, er hatte gehört, wie seine Frau Alina vor ein paar Tagen bei der Vorführung im Filmzentrum mit Dreck beworfen hatte. Doch dass Alina vorhatte, sich mit seinem Schwiegervater, dem Bankier Kosyrjew, in Verbindung zu setzen, das hatte er erst heute erfahren. Kein Wunder – Ehemänner, so hieß es ja, erfuhren immer alles als Letzte. Wahrscheinlich hatte Xenija es eher erfahren. Und das war nun das Ergebnis . . . Der Film, in den sie so viel Geld gesteckt hatten, nicht fertig, der Konzern wieder hoch verschuldet, und er, Michail Masurkewitsch, ein gehörnter Ehemann, der Mann einer Hure und nun vielleicht obendrein einer Mörderin. O Gott, o Gott, warum musste ausgerechnet ihm das alles widerfahren?
Alina Wasnis
Neunzehn Jahre vor ihrem Tod
Das erste Mal empfand Alina Wasnis ein Gefühl von heftiger Einsamkeit, als sie sechs Jahre alt war. Ihre Mutter war gestorben, als Alina fünf war, und sie blieb mit ihrem Vater und zwei älteren Brüdern zurück, dreizehn und neun Jahre alt. Die Schwester ihres Vaters redete ihm gleich nach der Beerdigung zu, möglichst bald wieder zu heiraten, ehe der Haushalt ohne Frau zusammenbrach und die Kinder verkamen. Sie schleppte eine entfernte Verwandte an, auch eine Lettin, die sie geradewegs aus einem Vorwerk bei Liepai holte. Ein halbes Jahr nach dem Tod seiner Frau heiratete Waldis Wasnis wieder. Inga war wortkarg
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