Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
verstoßen wurde.«
    »Puh!«, war das Eloquenteste, was ich dazu sagen konnte. Eine Weile ging ich schweigend weiter. Das war das Albernste, was ich je gehört hatte. Wenn man nicht dafür verstoßen werden konnte, dass man Met stahl und auf dem Schwarzmarkt verkaufte, um verbotene Gebrauchsgüter zu erstehen, was würde dann nicht das Anathema auslösen? Und doch …
    »Solche Gedanken sind von Übel«, sagte ich, »weil ein gruseliger Teil deines Gehirns sie für wahr halten möchte, selbst wenn dein logischer Verstand sie in Stücke reißt.«
    »Nun, einige unter den Edhariern haben ihren gruseligen Gehirnen nachgegeben«, sagte Tulia. »Sie wollen die Geschichte mit dem Met und dem Spulocorder nicht glauben. Anscheinend hat Orolo ein dreiseitiges Geschäft abgeschlossen, um Arsibalt zu den RAF zu schicken im Tausch für …«

    »Halt«, sagte ich, »ich will es nicht hören.«
    »Du weißt, was Orolo getan hat, und deshalb ist es für dich leichter zu akzeptieren«, sagte sie. »Andere haben Probleme damit – sie möchten es zu einer politischen Verschwörung machen und sagen, das Ding mit dem Met sei nie passiert.«
    »Nicht einmal ich denke so zynisch von Suur Trestanas«, sagte ich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Tulia den Kopf drehte, um mich anzuschauen.
    »Gut«, räumte ich ein, »lass es mich anders ausdrücken. Ich glaube nicht, dass sie eine Verschwörerin ist. Ich glaube, sie ist einfach nur böse.«
    Das schien Tulia zu befriedigen.
    »Sieh mal«, fuhr ich fort, »Fraa Orolo sagte immer, der Konzent sei genauso wie die Welt draußen, nur mit weniger funkelnden Gegenständen. Ich hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. Jetzt, wo er weg ist, kapiere ich es. Unser Wissen macht uns nicht besser oder weiser. Wir können genauso gemein sein wie diese Dards, die nur zum Vergnügen Lio und Arsibalt verprügelt haben.«
    »Hatte Orolo eine Antwort?«
    »Ich glaube ja«, sagte ich, »während der Apert versuchte er, es mir zu erklären. Halte nach Dingen Ausschau, denen Schönheit innewohnt – daran erkennst du, dass ein Strahl hereinscheint von – nun …«
    »Einem wahren Ort? Der Hyläischen Theorischen Welt?« Wieder war ihre Miene schwer zu deuten. Sie wollte wissen, ob ich an all das Zeug glaubte. Und ich wollte wissen, ob sie es tat. Ich schätzte, dass für sie das Risiko höher war. Als Edharier konnte ich ungeschoren davonkommen. »Ja«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob er es so genannt hätte. Aber das war es, worauf er hinauswollte.«
    »Nun«, sagte sie, nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hatte, »das ist besser, als sein Leben mit dem Austauschen von Verschwörungstheorien zuzubringen.«
    Damit sagt sie nicht viel , dachte ich. Aber ich sprach es nicht laut aus. Tulias Entscheidung, dem Neuen Zirkel beizutreten, war eine echte Entscheidung mit echten Konsequenzen gewesen. Eine davon war, dass sie vorsichtig sein musste, wenn sie über Vorstellungen wie die HTW sprach, die sie als Aberglauben betrachteten. Wenn sie wollte, konnte sie an solche Sachen glauben; aber sie musste es für sich behalten, und es zeugte von schlechtem Stil, wenn ich versuchte, es aus ihr herauszupressen.

    Jedenfalls besaß ich jetzt einen Vorwand, mich auf Shufs Dotat herumzudrücken: Ich bemühte mich, als Friedensstifter zwischen den Orden zu wirken, indem ich die seit langem bestehende Einladung der RAF annahm.
    Nach dem Frühstück besuchte ich jeden Morgen einen Vortrag, in der Regel zusammen mit Barb, und arbeitete dann bis zur Provene und dem Mittagessen mit ihm an Beweisen und Problemen. Danach ging ich hinaus in den hinteren Teil der Wiese, wo Lio und ich uns auf den Unkrautkrieg vorbereiteten, und arbeitete dort eine Weile oder tat zumindest so als ob. Dabei beobachtete ich aufmerksam das Erkerfenster von Shufs Dotat, oben auf dem Hügel jenseits des Flusses. Arsibalt hatte immer einen Stapel Bücher auf der Fensterbank neben seinem großen Sessel liegen. Wenn noch jemand dort war, drehte er diesen so, dass die Buchrücken zum Fenster zeigten. Von der Wiese aus konnte ich ihre dunklen braunen Einbände sehen. War er jedoch allein, drehte er ihn so, dass die Kanten ihrer weißen Seiten sichtbar waren. Sobald ich das bemerkte, hörte ich auf zu arbeiten, ging zu einem Nischengang, holte meine Theorikaufzeichnungen und nahm sie mit über die Brücke und durch das Seitenbaumwäldchen zu Shufs Dotat, als ginge ich zum Studieren dorthin. Ein paar Minuten später saß ich unten im Kellergeschoss im

Weitere Kostenlose Bücher