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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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bestand keine Eile – bei ihm sowieso nie -, und niemand rechnete mit Ergebnissen, bevor Arsibalts Haar weiß geworden war. Wenn er von Zeit zu Zeit schmutzbedeckt über die Brücke zurückgestapft kam und unser Bad mit Schlamm überzog, wussten wir, dass er wieder eine Expedition unternommen hatte.
    Umso überraschter war ich, als er mich diese Treppe mit hinunternahm, nach links statt nach rechts abbog, mich ein paar Windungen und Biegungen entlang führte, die für ihn zu eng aussahen, und mir eine rostige Platte im Boden eines schmutzigen, feucht riechenden Raums zeigte. Er riss sie hoch, und darunter wurde ein Hohlraum mit einer Trittleiter aus Aluminium sichtbar, die er irgendwo
anders im Konzent stibitzt hatte. »Ich musste die Beine absägen – ein Stückchen«, gestand er, »da die Decke ziemlich niedrig ist. Nach dir.«
    Das legendäre Schatzgewölbe entpuppte sich als ungefähr eine Armspanne breit und hoch. Der Boden bestand aus festgestampftem Lehm. Darüber hatte Arsibalt eine Polyplane ausgebreitet, damit verderbliche Dinge – »wie dein knochiger Arsch, Raz« – hier existieren konnten, ohne ständig Feuchtigkeit aus dem Lehm anzuziehen. Ach, und einen Schatz gab es nicht. Nur eine Menge Graffiti, die von enttäuschten Dards in die Wände geritzt worden waren.
    Das war so ungefähr der unangenehmste Raum, den man sich zum Arbeiten vorstellen konnte. Aber wir hatten fast keine andere Wahl. Es war ja nicht so, dass ich mich einfach nachts auf meiner Pritsche aufsetzen, meine Kulle wie ein Zelt über meinen Kopf werfen und mir die verbotene Tafel anschauen konnte.
    Wir wendeten einen Gaunertrick an, wie er – im wahrsten Sinne des Wortes – im Buche steht. In der alten Bibliothek fand Tulia ein großes, dickes, fettes Buch, das in elfhundert Jahren niemand aus dem Regal gezogen hatte: ein Kompendium von Abhandlungen über eine bestimmte Elementarteilchentheorik, die 2300 bis 2600 der letzte Schrei gewesen, dann jedoch von Saunt Fenabrast widerlegt worden war. Wir schnitten aus jeder Seite einen Kreis aus, bis wir mitten in diesem Band eine Aushöhlung geschaffen hatten, die groß genug war, um die photomnemonische Tafel aufzunehmen. Lio trug ihn in einem Stapel anderer Bücher hinauf in den Wehrwarthof und brachte ihn zur Abendessenszeit, viel schwerer, wieder mit herunter und überreichte ihn mir. Am nächsten Tag beim Frühstück gab ich ihn Arsibalt. Als ich ihn beim Mittagessen sah, erzählte er mir, die Tafel sei jetzt an Ort und Stelle. »Ich habe sie mir angeschaut, mal kurz«, sagte er.
    »Und was hast du erfahren?«, fragte ich ihn.
    »Dass die Ita große Sorgfalt darauf verwandt haben, das Auge der Clesthyra makellos sauber zu halten«, sagte er. »Einer von ihnen kommt jeden Tag, um es abzustauben. Manchmal isst er da oben zu Mittag.«
    »Hübscher Ort dafür«, sagte ich. »Ich dachte allerdings an nächtliche Beobachtungen.«
    »Die überlasse ich dir, Fraa Erasmas.«
    Jetzt brauchte ich nur noch einen Vorwand, um oft zu Shufs Dotat
gehen zu können. Hier wirkte sich die Politik endlich zu meinen Gunsten aus. Diejenigen, die die RAF scheel ansahen, weil sie das Dotat wieder auf Vordermann brachten, hatten im Hinterkopf, dass es wie eine raffinierte Möglichkeit aussah, etwas umsonst zu bekommen. Auf entsprechende Fragen hin beteuerten die RAF immer, dass jeder willkommen sei, der dort hingehen und arbeiten wolle. Doch die Avot vom Neuen Zirkel und besonders die Edharier taten das nur selten. Das lag zum Teil an der üblichen Rivalität zwischen den Orden. Und zum Teil am aktuellen Geschehen.
    »Wie haben deine Brüder und Schwestern dich in der letzten Zeit behandelt?«, fragte Tulia mich eines Tages, als wir von der Provene zurückgingen. Ihre Stimme klang nicht wohlig-warm. Eher neugierig-analytisch. Ich drehte mich um und ging rückwärts vor ihr her, um ihr in die Augen schauen zu können. Darüber ärgerte sie sich und zog die Augenbrauen hoch. In einem Monat wurde sie volljährig. Danach konnte sie, ohne die Regel zu verletzen, Teil einer Liaison werden. Zwischen uns waren die Dinge heikel geworden.
    »Warum fragst du? Reine Neugierde«, sagte ich.
    »Hör auf, dich zum Affen zu machen, dann werd ich’s dir erzählen.«
    Mir war nicht aufgefallen, dass ich mich zum Affen machte, aber ich drehte mich wieder um und fiel neben ihr in gleichen Tritt.
    »Es gibt eine neue These«, sagte sie, »nämlich dass Orolo aus Vergeltung für politische Betätigung während der Zeit der Elikt

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