Anathem: Roman
von weniger klugen Köpfen bestraft wurde, die nicht begriffen, was tatsächlich passierte. Ich glaube, er wird – er ist – ein …«
»Sag’s schon!«, fuhr Tulia mich an.
»Saunt«, sagte ich. »Ich werde es für Saunt Orolo tun.«
Teil 5
VOKO
Stammlinie: (1) ( Extramuros ) Eine Abstammungslinie. (2) ( Intramuros ) Eine chronologische Abfolge von Avot, die über Kulle, Kord und Sphär hinaus Eigentum erwarben und behielten und es im Augenblick ihres Todes jeweils einem zuvor bestimmten Erben übertrugen. Der von manchen Stammlinien angehäufte Reichtum (s. Dotat ) – oder zumindest die Gerüchte darüber – förderte die baudische Ikonographie. Als Teil der Reformen der Dritten Verheerung wurden Stammlinien abgeschafft.
DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
W as immer man über seine reichen Nachkommen sagen mochte, Fraa Shuf selbst hatte wenig Reichtum und keinen Plan gehabt. Das wurde offenkundig, sobald man die Steinstufen in den Keller des Hauses hinabstieg, das von ihm begonnen und von seinen Erben vollendet worden war. Ich schreibe den Keller , aber es entspricht eher der Wahrheit, wenn man sagt, dass es eine ganze Reihe von Kellern gab – genau gezählt habe ich sie nie -, die in einer für mich nach wie vor unverständlichen Anordnung aneinander zementiert worden waren. In gewisser Weise war es eine echte Leistung, unter einem so kleinen Gebäude ein solches Durcheinander zu hinterlassen. Arsibalt hatte natürlich eine Erklärung dafür: Shuf war in seiner Nebenbeschäftigung Maurer gewesen. Um 1200 hatte er das Projekt als eine Art exzentrischen Zeitvertreib begonnen. Er hatte eigentlich nur einen schmalen Turm mit einem Raum oben an der Spitze bauen wollen, in dem ein Avot sitzen und meditieren konnte. Als das Werk fertig war, gab er es an einen Fid weiter, der bemerkt hatte, dass der Turm sich leicht neigte, und einen Großteil seines Lebens darauf verwendete, das Fundament zu ersetzen – ein heikles Unterfangen, das das Ausgraben von Hohlräumen unter dem, was bereits da war, und das Einrammen riesiger Steinblöcke in diese Löcher bedeutete. Am Ende hatte er ein größeres Fundament gebaut, als tatsächlich benötigt wurde, und das Ganze an einen Maurer weitergegeben, der noch mehr gegraben, mehr Fundamente gelegt und mehr Mauern errichtet hatte. Und so war es über ein paar Generationen weitergegangen, bis die Stammlinie begonnen hatte, über das Gebäude hinaus Reichtum anzusammeln, und einen Ort gebraucht hatte, um ihn aufzubewahren. Die alten Fundamente waren wiederentdeckt, freigegraben, mit Mauern und Fußböden versehen, überwölbt und ausgeweitet worden. Eins der schädlichen Dinge an Stammlinien war nämlich, dass die reichen Avot weniger reiche dazu bringen konnten, im Tausch für
besseres Essen, bessere Getränke und bessere Unterkünfte Dinge für sie zu tun.
Jedenfalls hatte der Dreck, als die Reformierten Alten Faanier Hunderte von Jahren nach der Dritten Verheerung begonnen hatten, sich wieder zu der Ruine von Shufs Dotat zu schleichen, viel von den Kellern zurückerobert. Mir war nicht ganz klar, wie der Dreck in diese Räume kam und den Boden so dick überzog. Ein Prozess, den Menschen nicht ergründen konnten, weil er so allmählich vor sich ging. Die RAF, die so gewissenhaft den übrigen Teil des Hauses wieder in Ordnung gebracht hatten, hatten die Kellerräume fast vollständig ignoriert. Unten rechts vom Fuß der Treppe war eine Kammer, in der sie Wein und Tafelsilber aufbewahrten, das zu besonderen Anlässen heraufgeholt wurde. Die Kellerräume jenseits davon waren jedoch eine Wildnis.
Arsibalt war, ganz entgegen seinem Ruf, deren unerschrockener Erforscher geworden. Als Karten dienten ihm alte Grundrisse, die er in der Bibliothek gefunden hatte, und als Werkzeuge Spitzhacke und Schaufel. Das mystische Objekt seiner Suche war ein Kellergewölbe, in dem Shufs Stammlinie der Legende nach ihr Gold aufbewahrt hatte. Falls ein solcher Ort je existiert hatte, war er während der Dritten Verheerung gefunden und ausgeräumt worden. Ihn wiederzuentdecken, wäre trotzdem interessant gewesen. Und segensreich für die RAF, da Avot anderer Orden sich in den letzten Jahren einen Spaß daraus gemacht hatten, Gerüchte in die Welt zu setzen, denen zufolge die RAF da unten Schätze gefunden hätten oder horteten. Arsibalt könnte solchen Gerüchten ein Ende bereiten, indem er das Kellergewölbe fand und dann Leute einlud, hinunterzugehen und selbst nachzuschauen.
Aber es
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