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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Du siehst das aus der Wehrwartperspektive. Ich verstehe, was du meinst.«
    »Bestens. Dann wissen wir beide, worüber wir in Wirklichkeit jetzt sprechen.«
    »Dass man nicht so lange leben kann, ohne die Sequenzen in seinen Zellkernen zu reparieren«, sagte ich.
    »Vor allem, wenn man bei seiner Arbeit mit Strahlung zu tun hat.«
    »Daran hatte ich gar nicht gedacht.« Ich überlegte einen Moment, ging im Geist die Unterhaltung mit Jad noch einmal durch. »Wie konnte er sich nur so verplappern? Er muss doch wissen, wie gefährlich
es ist, auch nur anzudeuten, dass er – äh – zu der Art von Leuten gehört, die Dinge wie die Reparatur ihrer eigenen Zellen beherrschen.«
    »Machst du Witze? Er hat sich nicht verplappert. Das war wohlüberlegt, Raz.«
    »Er hat uns wissen lassen …«
    »Er hat uns sein Leben anvertraut«, sagte Lio. »Ist dir nicht aufgefallen, wie er heute alle abschätzte? Er hat uns ausgewählt, mein Fraa.«
    »Mannomann! Wenn das wirklich stimmt, fühle ich mich geehrt.«
    »Dann genieß das Geehrtsein, solange du kannst«, sagte Lio, »diese Art von Ehre ist nämlich nicht ohne Verpflichtungen zu haben.«
    »An was für Verpflichtungen denkst du?«
    »Woher soll ich das wissen? Ich sage nur, dass er aus einem bestimmten Grund evoziert wurde. Man erwartet von ihm, dass er etwas tut . Er beginnt eine Strategie zu entwickeln. Und wir sind jetzt Teil dieser Strategie. Soldaten. Schachfiguren.«
    Das ließ mich für eine Weile verstummen; ich konnte kaum noch klar denken.
    Dann fiel mir etwas ein, was es irgendwie leichter machte.
    »Wir sind sowieso schon Schachfiguren«, sagte ich.
    »Stimmt. Und wenn ich die Wahl hätte, wäre ich lieber die Schachfigur von jemandem, den ich sehen kann«, sagte Lio. Und dann lächelte er zum ersten Mal seit letzter Nacht sein altes Lio-Lächeln. Er war ernster gewesen, als ich ihn je erlebt hatte. Aber der Anblick dieser an dem Raumschiff aufgereihten Abschüsse – wenn sie das tatsächlich waren – hatte ihm allen Grund gegeben, ernst zu sein.
    Wir Avot sagten uns gerne, dass wir, im Gegensatz zu Bazischen Prälaten, die in Seidengewänder und Wolken von Weihrauch gehüllt einherstolzierten, ein bescheidenes und genügsames Leben führten. Aber unsere Gebäude waren wenigstens aus Stein und bedurften keiner besonderen Instandhaltung. Hier war alles aus Holz: weiter oben am Hang eine kleine Arch und ein Ring von Baracken, die mit einer Quelle als Mittelpunkt so etwas wie ein Klostrum bildeten. Weiter unten zur Straße hin zwei Reihen von Zellen mit Stockbetten und ein großes Gebäude mit einem Speisesaal und ein paar Versammlungsräumen. Man kümmerte sich um die Gebäude, aber es war offensichtlich, dass sie sich in stetigem Verfall befanden und,
falls die Leute einmal fortgehen sollten, innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem Haufen Anzündholz verkommen würden.
    Vom Leben der Mönche bekamen wir nichts mit. Die Zellen, in denen wir übernachteten, waren sauber, aber mit Graffiti übersät, die von den im Sommer busweise hierhergekarrten Kindern in die Wände und Stockbetten geritzt worden waren. Wir hatten unverschämtes Glück, dass bei unserer Ankunft keine Kinder da waren; eine Gruppe war zwei Tage zuvor abgereist, und eine andere wurde bald erwartet. Von dem halben Dutzend junger Erwachsener, die das Personal bildeten, waren vier für einen kurzen Urlaub in die Stadt zurückgefahren. Die verbliebenen zwei und der Bazische Priester, der das Einkehrzentrum leitete, hatten ein einfaches Mahl für uns bereitet. Nachdem wir unser Gepäck in unseren Zellen abgestellt und ein paar Minuten darauf verwandt hatten, uns in den Gemeinschaftswaschräumen frisch zu machen, kamen wir im Speisesaal zusammen und setzten uns an Reihen von Klapptischen, die den von uns bei der Apert benutzten ziemlich ähnlich waren. In dem Raum roch es nach Künstlerbedarf.
    Die Mönche, so erfuhren wir, waren zu dreiundvierzig, was uns Avot, bei denen ein Kapitel hundert Mann stark war, als kleine Anzahl erschien. Vier von ihnen kamen herunter, um mit uns zu Abend zu essen. Es war nicht klar, ob sie wie unsere Hierarchen eine besondere Stellung innehatten oder lediglich die einzigen von den dreiundvierzig waren, die eine gewisse Neugier uns gegenüber verspürten. Sie waren alle graubärtig, und alle wollten sie Fraa Jad kennen lernen. Bazisch-orthodoxes klerikales Orth stimmte zu siebzig Prozent mit dem überein, was wir sprachen.
    Nach dem Gespräch, das Lio und ich gerade geführt

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