Anathem: Roman
stürzten sie sich auf mich. Sie hatten beide den etwas angespannten und gereizten Blick von Leuten, die gerade mehrere Stunden mit Barb eingepfercht gewesen waren. »Fraa Erasmas«, fing Arsibalt an, »seien wir doch realistisch. Schau dir diese Landschaft an! Hier könnte kein Mensch auf sich allein gestellt leben. Wie käme man an Essen, Wasser, medizinische Versorgung?«
»An einer Stelle auf diesem Berg wachsen Bäume«, sagte ich. »Das heißt vermutlich, dass es dort frisches Wasser gibt. Leute wie Ferman schicken ihre Kinder hier ins Sommerlager – wie schlimm kann es dann wohl noch sein?«
»Das ist eine Oase!«, sagte Lio, dem es Spaß machte, dieses schöne Wort zu zücken.
»Ja. Und wenn es auf dem näher gelegenen Inselberg eine Oase gibt, die groß genug für ein Mönchskloster und ein Sommerlager ist, warum könnte es auf dem weiter entfernt liegenden nicht einen Ort geben, an dem Efferaten wie Bly, Estemard und Orolo im Schatten leben und Wasser aus einer Quelle trinken können?«
»Das löst nicht das Problem, wie man an Nahrung kommt«, betonte Arsibalt.
»Es ist aber schon eine Verbesserung gegenüber dem Bild, das ich im Kopf mit mir herumgetragen habe«, sagte ich. Das brauchte ich den anderen nicht zu erklären, denn auch sie hatten es im Kopf gehabt: verzweifelte Männer, die auf einer Bergspitze lebten und sich von Flechten ernährten.
»Es muss eine Möglichkeit geben«, fuhr ich fort, »die Bazischen Mönche tun es ja auch.«
»Sie sind eine größere Gemeinschaft, und sie werden durch Almosen unterstützt«, sagte Arsibalt.
»Orolo hat mir erzählt, Estemard hätte ihm von Blys Koppie aus über Jahre hinweg Briefe geschickt. Und Saunt Bly hat es geschafft, eine ganze Weile dort zu leben …«
»Nur weil die Dards ihn verehrt haben«, bemerkte Lio.
»Na, vielleicht finden wir ja einen Haufen Dards, die sich vor Orolo verbeugen. Ich weiß nicht, wie es funktioniert. Vielleicht gibt es eine Tourismusindustrie.«
»Machst du Witze?«, fragte Arsibalt.
»Schau dir diese große Straßenausbuchtung an, auf der wir parken«, sagte ich.
»Was ist damit?«
»Wozu, glaubst du, ist sie da?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, bin ja kein Praxiker«, sagte Arsibalt.
»Damit Fahrzeuge leichter aneinander vorbeifahren können?«, riet Lio.
Ich streckte den Arm aus und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Aussicht. »Dazu ist sie da.«
»Was? Weil es schön ist?«
»Ja.« Und dann wandte ich mich von Arsibalt ab und schaute Lio an, der sich anschickte zu gehen. Ich schloss mich ihm an. Arsibalt blieb zurück, um die Aussicht zu prüfen, so als könnte er, indem er lange genug hinstarrte, einen Fehler in meiner Logik entdecken.
»Hast du Gelegenheit gehabt, dir den Ikosaeder anzuschauen?«, fragte mich Lio.
»Ja. Und ich habe den Beweis gesehen – seine geometrische Darstellung.«
»Du glaubst, dass diese Leute wie wir sind. Dass sie Verständnis für unsere Sichtweise als Anhänger Unserer Mutter Hyläa haben«, sagte Lio, als probierte er diese Sätze an mir aus.
Ich war schon in Verteidigungshaltung, da ich ein Flankenmanöver kommen sah. »Ich denke, dass sie mit dem Adrakhonischen Lehrsatz als Wappen eindeutig irgendetwas zu erreichen versuchen …«
»Dieses Raumschiff ist schwerbewaffnet«, sagte er.
»Selbstredend!«
Er schüttelte bereits den Kopf. »Ich spreche nicht von den Antriebsladungen. Die wären als Waffen nahezu unbrauchbar. Ich spreche von anderen Dingen auf diesem Raumschiff – Dingen, die offensichtlich werden, wenn man sie sucht.«
»Ich habe nichts gesehen, was auch nur entfernt wie eine Waffe aussah.«
»Auf einem Stoßdämpfer von einer Meile Länge kann man allerhand Ausrüstung verstecken«, bemerkte er, »und wer weiß, was unter diesem ganzen Schotter verborgen ist.«
»Kannst du mir ein Beispiel nennen?«
»Die einzelnen Flächen haben in regelmäßigen Abständen angeordnete Gebilde. Ich glaube, das sind Antennen.«
»Ach ja? Selbstredend werden sie Antennen haben.«
»Diese hier sind phasengesteuert«, sagte er. »Militärisches Zeug. Genau was du brauchst, um einen Röntgenlaser oder einen Hochgeschwindigkeitspulverisierer auf ein bestimmtes Ziel zu richten. Ich werde verschiedene Bücher konsultieren müssen, um mehr darüber zu erfahren. Was mir auch nicht gefällt, sind die Planeten, die um die Nase aufgereiht sind.«
»Was meinst du damit?«
»Auf einen nach vorne gerichteten Stoßdämpfer sind vier Scheiben in einer Reihe
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