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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sehr alte«, sagte Lio. »Sehr alte, die von anderen zurückgelassen worden waren, denen man zu ihrer Zeit ebenfalls die Zugehörigkeit zur Stammlinie angehängt hatte.«
    »Klingt interessant, aber harmlos«, sagte ich.
    »Außerdem fiel den Leuten auf, dass er sich über die Maßen für die Millenarier interessierte. Bei den Auten machte er sich während des Gesangs der Tausender Notizen.«
    »Wie kann jemand die Bedeutung dieser Gesänge erfassen, ohne sich Notizen zu machen?«
    »Und er ging oft ins obere Labyrinth.«
    »Gut«, räumte ich ein, »das ist ein bisschen merkwürdig … Gehört es zum Mythos, der die Stammlinie umgibt, dass ihre Mitglieder die Regel verletzen – über die Grenzen ihrer Mathe hinweg miteinander kommunizieren?«
    »Ja«, sagte Kriskan. »Es passt zu dem ganzen verschwörungstheoretischen Aspekt. Die Verunglimpfung der Edharier im Allgemeinen besteht in der Behauptung, dass sie ihre Arbeit für fundierter, wichtiger als die von irgendjemand anderem halten – dass die Suche nach den Wahrheiten in der Hyläischen Theorischen Welt also Vorrang vor der Regel bekommt. Und dass sie, wenn die Suche nach der Wahrheit es erfordert, mit Avot in anderen Mathen – oder mit Extras – zu kommunizieren, das bedenkenlos tun.«
    Das klang von Minute zu Minute abstruser, und ich hielt es allmählich für eine dieser verrückten Hundertermarotten. Ich sagte aber nichts, weil ich daran denken musste, wie Orolo in dem Weingarten mit Sammann sprach und unerlaubte Beobachtungen machte.
    Lio schnaubte. »Extras? Was für Extras hätten Interesse an einem mystischen, sechstausend Jahre alten Problem der Theorik?«
    »Solche wie die, mit denen wir die letzten zwei Tage zusammen waren«, sagte Kriskan.
    Inzwischen waren wir stehen geblieben. Ich machte ein paar
Schritte die Straße aufwärts. »Tja, wenn alles, was du sagst, wahr ist, tun wir uns keinen Gefallen damit, dass wir hier draußen sind.«
    Kriskan verstand sofort, was ich meinte, während Lio mich fragend anblickte. Ich fuhr fort: »Saunt Tredegarh füllt sich mit Avot aus aller Welt. Die Hierarchen führen sicher Buch darüber, wer aus welchem Konzent eingetroffen ist. Und wir – eine Gruppe, die hauptsächlich aus Edhariern besteht, noch dazu aus dem Konzent Saunt Edhar – werden zu spät kommen …«
    »Weil wir es mit den Vorschriften nicht so genau genommen – und uns unter Deolatisten bewegt haben«, sagte Lio, der anfing zu begreifen.
    »… auf der Suche nach ein paar eigensinnigen Fraas, die genau in das von Kriskan beschriebene Klischee passen.«
    Wenige Minuten später waren Lio und ich auf dem Gipfel. Kriskan hatten wir schnaufend und keuchend ein Stück hinter uns gelassen. Das ganze sonderbare Gerede hatte uns nervös gemacht, und den Rest des Weges waren wir praktisch gerannt – nicht weil wir uns hätten beeilen müssen, sondern einfach um Energie zu verbrennen.
    Der Gipfel von Blys Koppie sah aus, als könnte er zu Saunt Blys Zeiten ein angenehmer Ort gewesen sein. Seine Existenz verdankte der Inselberg einem linsenförmigen harten Fels, der der Erosion widerstanden und das weichere Material darunter geschützt hatte, während im Umkreis von mehreren Meilen alles langsam weggeschwemmt worden war. Auf dem Gipfel war genug Platz, um ein Haus etwa von der Größe wie das, in dem Jesrys Familie lebte, zu bauen. Im Laufe der Jahrtausende war sein Dach mit allen möglichen Konstruktionen vollgestopft worden. Die unteren Schichten waren Mauerwerk: Steine oder Ziegel, die unmittelbar auf die harte Oberfläche des Inselbergs gemörtelt worden waren. Spätere Generationen hatten direkt auf diese Grundmauern Kunststein gegossen, um kleine Blockhäuser, Wachhäuschen, Unterstände, Geräteschuppen und Fundamente für Antennen, Schüsseln und Masten zu bauen. Diese waren dann verändert worden: Verbindungen zwischen ihnen waren hergestellt, abgenutzt und zerstört worden oder verrostet, dann ersetzt oder unter neuen begraben worden. Der Stein – künstlicher wie natürlicher – war von dem Rost all der Metallkonstruktionen, die sich im Laufe der Zeit hier befunden hatten, in einem dunklen Ocker gefleckt. Für eine so kleine
Fläche war es hier ziemlich unübersichtlich – ein Ort, mit dessen Erforschung Kinder sich Stunden um Stunden beschäftigt hätten. Lio und ich waren gar nicht so weit vom Kindsein entfernt, dass es uns nicht in den Fingern gejuckt hätte, aber uns ging so viel anderes im Kopf herum. Also suchten wir nach Anzeichen

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