Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
hast? Ich habe nämlich das Gefühl, dass ihr Mädels über euer eigenes privates Retikel verfügt. Wie …«
    »Wie die Ita?« Wenn ich das gesagt hätte, wäre es eine Beleidigung gewesen, aber sie fand es höchst amüsant. Wir richteten beide den Blick nach vorne auf Sammanns Hinterkopf, dessen Silhouette sich gegen das Display seines Nicknacks abzeichnete. »Genau«, sagte Cord, »wir sind die Mädchen-Ita, und wenn du nicht tust, was wir sagen, verurteilen wir dich zum Buch!«
    Cord hatte ein Notizheft, das ihr als Wartungsbuch für ihren Hol diente, und ich benutzte eine leere Seite, um einen Brief an Ala anzufangen. Ich tat mich so schwer, wie man sich mit einem geschriebenen Dokument nur schwertun konnte. Ich riss es aus und fing von vorne an. Ich konnte mich nicht an die Art gewöhnen, wie der Wegwerfpolykugelschreiber zähflüssige Tinte auf das maschinengefertigte glatte Papier schiss. Ich riss es aus und fing noch einmal von vorne an.
    Beim vierten Entwurf musste ich die Arbeit unterbrechen, weil Ganelial Crade uns von der Teerstraße auf einen unbefestigten Weg geführt hatte, der besser für seinen als für Cords Hol geeignet war. Die unteren, nach Süden gehenden Berghänge waren mit Treibstoffbaumplantagen bedeckt und kreuz und quer von unbefestigten Straßen wie dieser durchzogen, die von Unmengen rumpelnder, Staub aufwirbelnder Holztromms befahren wurden und für uns nicht ungefährlich waren. Wir verbrachten eine unangenehme halbe Stunde damit, diese Zone zu durchqueren. Dann ging es weiter bergauf, dorthin, wo die Wachstumsperiode zu kurz und die Hänge zu steil für diese Industrie waren, wie im Grunde genommen für jede Art wirtschaftlicher Tätigkeit außer der Freizeitindustrie.
    Er brachte uns zu einem wunderschönen Campingplatz am Rand eines kleinen Bergsees. Hierher kämen die Leute im Herbst, um zu jagen, erzählte er, aber heute war niemand da. Unsere gesamte Ausrüstung war neu, und bevor wir irgendetwas damit tun konnten, mussten wir sie aus Kartons nehmen und die Verpackungen und Anhänger und Gebrauchsanweisungen beseitigen. Mit ihnen fachten wir ein Lagerfeuer an, das wir anschließend mit heruntergefallenem, totem Holz am Brennen hielten. Als die Sonne unterging,
war es zu einer Glutschicht heruntergebrannt, auf der wir uns Würstchen zubereiteten. Cord machte sich ein Bett in ihrem Hol, während wir drei Männer uns darauf vorbereiteten, die Nacht gemeinsam in dem Zelt zu verbringen. Ich blieb noch lange auf und schrieb im Licht des Feuers meinen Brief an Ala fertig. Was sich als genau richtig erwies; der siebte Entwurf war kurz und bündig. Ich fragte mich einfach immer wieder: Wenn das Schicksal es so wollte, dass wir uns nie wiedersähen, was müsste ich ihr dann unbedingt noch sagen?
    Der nächste Tag begann erfreulicherweise ohne größere Vorkommnisse, neue Leute und überraschende Enthüllungen. Wir standen in der Kälte langsam auf, zündeten den Campingkocher an, wärmten ein paar Lebensmittelrationen auf und machten uns fertig zur Abfahrt. Crade war glücklich. Es lag nicht in seiner Natur, so zu sein, aber hier und jetzt war er glücklich, stolzierte umher, erklärte uns, wie wir die Schlafsäcke am besten aufrollten, und kümmerte sich derart sorgsam um den Campingkocher, als wäre es ein Atomreaktor. Unter solchen Umständen, wo er seine Energie tatsächlich nutzbringend einsetzen konnte, war mit ihm aber auch viel besser auszukommen. Ich beschloss für mich, dass er für seine Lebensumstände zu intelligent war und die Gelegenheit, Avot zu werden, verpasst hatte. Wäre er unter Dards zur Welt gekommen, wäre er in einem Konzent gelandet. Stattdessen war er in eine Sekte geraten, die seinen Verstand zu sehr schätzte, um ihn gehen zu lassen. Andererseits hatte sie gar keine Verwendung dafür. Jedenfalls war Crade es gewohnt, im Umkreis von hundert Meilen der einzige kluge Kopf zu sein, und jetzt, da er mit anderen klugen Leuten zusammengeworfen worden war, wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte.
    Sammann war ganz und gar nicht in seinem Element – er konnte auf seinem Nicknack kaum etwas empfangen -, meisterte die Situation aber gut, so als gehörte länger andauerndes Leid zur Grundausstattung eines Ita-Werkzeugkoffers. Er hatte eine Schultertasche, die für ihn dasselbe darstellte wie für Cord ihre Weste, und er holte immer wieder nützliche Werkzeuge und technische Spielereien heraus. Jedenfalls kam es mir so vor, da ich es ja nicht gewohnt war, Dinge zu

Weitere Kostenlose Bücher