Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
müssen.
    Fraa Jad gab mir zu verstehen, dass ich aussteigen sollte. Ich sprang von der Ladefläche des Hols und half dann ihm herunter,
aber mehr aus Respekt als sonst etwas, da er nicht viel Hilfe zu brauchen schien. Wir spazierten ungefähr hundert Schritt bis zu einer Kurve, von der aus man einen besonders schönen Blick über die hohe Wüste zu den Bergen im Norden hatte, die an manchen Stellen immer noch Schneeflecken trugen und mit Wolkenschatten getupft waren. »Wir sind jetzt wie Protas, der auf Ethras hinabschaute«, bemerkte er.
    Ich lächelte, lachte aber nicht. Protas’ Werk galt vielen als peinlich naiv. Es wurde selten erwähnt, außer wenn jemand witzig oder ironisch sein wollte. Es dermaßen abzulehnen, war jedoch ein Trend, der schon hundert Mal gekommen und gegangen war, und deshalb wusste ich nicht, was Fraa Jad, dessen Math 690 Jahre lang abgeschottet gewesen war, davon halten mochte. Je länger ich da stand und ihn betrachtete und seinem Blick nordwärts zu den Wolken und Schatten folgte, die sie auf die Berghänge warfen, umso froher war ich, dass ich nicht gekichert hatte.
    »Was, glaubst du, hat Orolo gesehen, wenn er so hinausschaute?«, fragte Fraa Jad.
    »Er war ein großer Freund von Schönheit und hat gerne vom Sternrund aus auf die Berge geschaut«, sagte ich.
    »Glaubst du, er hat Schönheit gesehen? Das ist so gut wie sicher, schließlich ist es ja wunderschön. Aber woran dachte er dabei? Was für Verbindungen ließ die Schönheit ihn erkennen?«
    »Das kann ich unmöglich beantworten.«
    »Beantworte es nicht. Frage es.«
    »Konkreter: was soll ich tun?«
    »Geh nach Norden«, sagte er. »Folge Orolo und finde ihn.«
    »Tredegarh ist im Südosten.«
    »Tredegarh«, wiederholte er, als wäre er gerade aus einem Traum davon erwacht. »Dorthin werden ich und die anderen nach dem Picknick gehen.«
    »Mit dem Abstecher hierher habe ich die Vorschriften schon ziemlich strapaziert«, sagte ich. »Wir haben einen Tag verloren …«
    »Einen Tag. Einen Tag! « Fraa Jad, der Tausender, fand es ziemlich lustig, dass ich mir über einen Tag Gedanken machte.
    »Orolo nachzujagen könnte Monate dauern«, sagte ich. »Für diese Verspätung könnte ich verstoßen werden. Oder zumindest mehr Kapitel bekommen.«
    »Bei welchem Kapitel bist du jetzt?«

    »Fünf.«
    »Neun«, sagte Fraa Jad. Zuerst dachte ich, er korrigierte mich. Dann fürchtete ich, er spräche eine Strafe aus. Schließlich ging mir auf, dass er selbst bei Kapitel neun angelangt war.
    Damit musste er Jahre zugebracht haben.
    Warum? Wie konnte er in solche Schwierigkeiten geraten sein?
    Hatte es ihn verrückt gemacht?
    Aber wenn er verrückt oder unverbesserlich war, warum war unter all den Tausendern dann ausgerechnet er evoziert worden? Warum hatten seine Fraas und Suurs nach seiner Voko auf diese Weise gesungen – als würde ihnen das Herz herausgerissen?
    »Ich habe eine Menge Fragen«, sagte ich.
    »Um Antworten zu bekommen, gehst du am besten nach Norden.«
    Als ich den Mund aufmachte, um meinen Einwand von vorher zu wiederholen, hob er eine Hand, um mir Einhalt zu gebieten. »Ich werde mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass du nicht bestraft wirst.«
    Ich konnte nicht im Geringsten davon ausgehen, dass Fraa Jad in einer riesigen Konvox über einen derartigen Einfluss verfügte, besaß aber nicht die Willenskraft, ihm das ins Gesicht zu sagen. Ohne diese Kraft gab es für mich nur einen Weg aus diesem Gespräch hinaus: »Gut. Nach dem Picknick gehe ich nach Norden. Obwohl ich nicht verstehe, was das bedeutet.«
    »Dann geh so lange nach Norden, bis du es verstehst«, sagte Fraa Jad.

Teil 7
    EFFERAT

    Retikel: (1) In Proto-, Alt- und Mittelorth ein von seiner Struktur her netzartiger kleiner Beutel oder Korb. (2) In frühem Praxikorth ein gitterförmiges Geflecht aus Linien oder feinen Drähten auf einem optischen Gerät. (3) In späterem Praxik- und Neuorth zwei oder mehr syntaktische Vorrichtungen, die imstande sind, miteinander zu kommunizieren.
    Retikulum: (1) Ohne Abkürzung: ein Retikel, das aus dem Zusammenschluss von zwei oder mehr kleineren Retikeln besteht. (2) Auch Ret abgekürzt: Das größte Netzwerk, das die überwiegende Zahl aller Retikel der Welt miteinander verbindet.
     
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000

    E s hatte keinen Zweck, Cord ausreden zu wollen, mich zu begleiten. Wir stiegen einfach in ihren Hol und starteten, sobald das Picknick vorbei war. Wir mussten dreißig Meilen zurückfahren,

Weitere Kostenlose Bücher