Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Estemard zum Beispiel? Oder Orolo?«
    »Ihn lassen wir da bitte draußen.«
    »Gut.« Gnel zuckte die Achseln. »Orolo blieb für sich. Befolgte die Regel, soweit ich das beurteilen konnte. Ich habe nie mit ihm gesprochen.«
    Hier musste ich mich zusammennehmen. Bis zehn zählen. Den Rechen herausholen. Diese Leute sorgten sich um ewige Wahrheiten. Glaubten, dass manche – wenn auch nicht alle – solche Wahrheiten in einem Buch niedergeschrieben waren. Dass ihr Buch recht hatte und die anderen nicht. So viel hatten sie mit den meisten anderen Leuten, die je gelebt hatten, gemein. Gut – solange sie mich damit in Ruhe ließen. Nun hatten sie diesen neuen Kniff: Sie holten sich Inspiration bei einem Saunt der Avot. Ob ich das verstehen konnte, war nicht von Belang.
    »Ihr spürt die Wahrheit, kennt sie aber nicht«, wiederholte Cord. »Euer Gottesdienst neulich, in Samble – wir konnten euch singen hören. Er war sehr emotional.«
    Gnel nickt. »Deswegen nimmt Estemard daran teil – obwohl er nicht glaubt.«
    »Er ist verstandesmäßig nicht von euren Argumenten überzeugt«, übersetzte Cord, »fühlt aber manches von dem, was ihr fühlt.«
    »Genau so ist es!« Ganelial Crade war entzückt. So komisch das klingen mag. Aber er war es. Als hätte er einen neuen Konvertiten gefunden.
    »Nun, selbst als eine, die nicht glaubt, kann ich die Anziehung irgendwie nachempfinden«, sagte Cord.
    Ich warf ihr einen Blick zu. Yul schlug die Hände vors Gesicht. Cord geriet in die Defensive. »Ich sage ja nicht, dass ich wahrscheinlich dieser Arch beitreten werde. Nur, dass es nach stundenlanger Fahrt durch ein Niemandsland bemerkenswert war, auf dieses Gebäude zu stoßen, in dem Menschen sich versammelt hatten, und
die emotionale Verbundenheit zwischen ihnen zu spüren. Zu wissen, dass sie das schon seit Jahrhunderten tun.«
    »Unsere Arch, unsere Städte wie Samble«, sagte Gnel, »sind alle im Sterben begriffen. Deshalb sind diese Gottesdienste so emotionsgeladen.«
    Das war das erste Mal, dass er etwas sagte, was nicht vor Selbstvertrauen strotzte, und deshalb waren wir alle sprachlos. Yul nahm das Gesicht aus den Händen und zwinkerte seinem Cousin zu.
    »Sterben wegen des Himmelswarts?«, riet Sammann.
    »Er predigt ein einfaches, grob gestricktes Glaubensbekenntnis. Das sich wie eine Krankheit ausbreitet. Diejenigen, die es annehmen, wenden sich ab und verschmähen uns, als wären wir die Ketzer. Es ist dabei, uns auszulöschen«, sagte Gnel, während er Yul einen nicht allzu freundlichen Blick zuwarf.
    Das war alles sehr interessant, aber ich musste mir über andere Dinge Gedanken machen. Estemard hat also den Verstand verloren. Orolo auch?
    Ich entsann mich des Gesprächs, das ich kurz vor der Schließung des Sternrunds mit Orolo gehabt hatte – das über Schönheit. Das mir das Leben gerettet hatte. Rückblickend konnte man es als den Moment betrachten, wo Orolos Verstand erste Risse bekam. Als hätte im selben Augenblick er angefangen und ich aufgehört, verrückt zu sein.
    Das schüttelte ich ab. Orolo war verstoßen worden. Es gab nur einen Ort, an dem er Zuflucht suchen konnte: Blys Koppie. Erst einmal dort angekommen, hatte er die Regel befolgt. Für ihn kein Singen in der Kirche. Und er hatte den Ort verlassen, sobald er dazu in der Lage gewesen war.
    Also …
    Moment mal. Nicht sobald er dazu in der Lage gewesen war. Er war erst zwei Tage vor uns in den Norden aufgebrochen – am Morgen, nachdem die Laserstrahlen auf die Drei Unversehrten gerichtet worden waren. Warum sollte das ihn veranlassen, Kulle, Kord und Sphär zu packen und sich auf dem schnellsten Weg ausgerechnet nach Ekba zu begeben?
    Vielleicht würde ich ihn das in ein paar Tagen fragen können.

    Allesgut: Eine natürlich vorkommende Chemikalie, die bei ausreichenden Konzentrationen im Gehirn das Gefühl hervorruft, alles sei bestens. Von Theoren im ersten Jahrhundert A. R. isoliert und als Arzneimittel verfügbar gemacht, wurde sie allgegenwärtig, als ein später unter dem Namen Frohkraut bekannt gewordenes gemeines Unkraut genetisch so verändert wurde, dass es Allesgut als Nebenprodukt seines Stoffwechsels produzierte. Frohkraut wurde in der Folge zu einer der Elf.
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
    Die Fahrt dauerte ungefähr zwei Tage – oder hier oben zwei Wach-Schlaf-Zyklen. Ich war mit einem Mal bereit, wieder an die Arbeit zu gehen. Die Reise von Samble zur Schlittenzugstation war eine willkommene Pause vom Lesen und Denken

Weitere Kostenlose Bücher