Anathem: Roman
Tieflader. Diese waren für Schmuggelware gedacht, und tatsächlich wurde einer gerade beladen; er fuhr neben dem dritten Schlitten unseres Zuges her, und Männer warfen und traten von oben Kisten und bauchige Säcke hinein. Andere dagegen waren zugedeckt – auf ihren Ladeflächen hatte man Zelte errichtet. Ich erspähte zwei Männer in orangefarbenen Anzugsäcken, die in einen davon hinabsprangen.
Sammann hatte mir einen Grundsatz und zwei Regeln mitgegeben. Der Grundsatz: Nimm einen Schlitten mit vielen anderen Passagieren. In Zahlen liegt Sicherheit. Regel Nummer 1: Lass deine Füße den Boden nicht berühren. Man wird dich verlassen, und du wirst sterben. Zu Regel Nummer 2 komme ich gleich.
Gnel und ich gingen eine Viertelstunde lang die Laufstege auf und ab, in der Hoffnung, etwas Kleineres als diese drei Züge zu sehen. So winzig sie auch neben dem riesigen Schlittenzug gewirkt haben mochten, sie waren ein ganzes Stück größer als die meisten Fahrzeuge, die man auf einer Straße in Richtung Süden sehen würde. Vermutlich waren sie nach Westen über die Berge unterwegs. Wir sahen keins der kleineren, beweglicheren Fahrzeuge, die kürzere Schmuggelfahrten in die Nähe der Schlittenzugstation machten. Von ihnen war heute keins da – wahrscheinlich wegen des schlechten Wetters.
Ein Schlittenzugfahrer mit scharfen Augen entdeckte mich. Unter Ausstoß eines schwarzen Abgaswirbels jagte er seinen Motor hoch und fuhr längsseits. Er hatte nur einen Schlitten hinter seinem Schlepper. Er ließ das Fenster herunter, steckte sein rötliches, behaartes Gesicht heraus und nannte einen Preis. Ich trat ein paar Schritte zurück, um in seinen Schlitten sehen zu können. Leer. Bevor ich ein Wort sagen konnte, nannte er einen niedrigeren Preis.
Es kam mir nicht richtig vor, gleich in den erstbesten Schlitten
hineinzuspringen, und so schüttelte ich den Kopf, drehte mich um und ging an eine Stelle zurück, wo ein größerer Zug Passagiere aufnahm. Diese Operation wirkte professioneller – wenn dieses Wort hier überhaupt einen Sinn ergab -, aber ich war zu spät gekommen. Die Schlitten waren bereits voll mit offenbar organisierten Flüchtlingsbanden, deren Blicke nahelegten, dass ich nicht willkommen wäre. Und der Preis war hoch. Ein dritter, kleiner Zug mit einer Mischung aus Güter- und Passagierschlitten sah vielversprechender aus: Es waren so viele Passagiere an Bord, dass ich nicht befürchten musste, verlassen zu werden.
Als er mich und zwei weitere Einzelpersonen mit dem Fahrer dieses Zuges verhandeln sah, stürzte der erste Schlittenzugfahrer wieder herbei. Er fuhr so vor, dass ich durch die Klappen des Zelts auf seinem Schlitten schauen und sehen konnte, dass er zwei Passagiere eingeladen hatte. Die Tür seines Schleppers hing auf, sodass ich einen Blick auf sein Armaturenbrett werfen konnte. Darüber war ein Leuchtbildschirm installiert, auf dem sich, während wir weiterfuhren, eine gezackte Linie in horizontaler Richtung bewegte: ein Echoortungsgerät. Regel Nummer 2 besagte, dass ich mich nie einem Schlitten anvertrauen sollte, der keins besaß. Mithilfe von Schallwellen untersuchte es das Eis vor sich auf versteckte Gletscherspalten. Die meisten Spalten konnten von den langen Gleisketten der Schneeraupe überbrückt werden, aber manche verschluckten das Fahrzeug auch mitsamt allem anderen in seinem Gefolge.
Ich fragte den Mann nach seinem Fahrtziel. »Kolya«, antwortete er. Der längere gemischte Passagiergüterzug fuhr an einen anderen Ort namens Imnash. Der nächste Eisbrecher sollte unserer Information nach in einunddreißig Stunden in Kolya ablegen. So hievte ich, nachdem ich mich mit dem Fahrer auf einen Preis geeinigt hatte, meinen Rucksack in den Einschlittenzug hinunter und wurde sein dritter Passagier. Nach örtlichem Brauch zahlte ich dem Fahrer die Hälfte des vereinbarten Fahrpreises im Voraus und behielt die bei Ankunft zu zahlende andere Hälfte in der Tasche. Eine weitere Viertelstunde lang rangelte er zu beiden Seiten des Zuges um eine gute Position und schaffte es, auf der rechten Seite noch einen Passagier zu ergattern. Danach waren die Laufstege leer. Wie auf ein gemeinsames Signal entfernten sich alle kleineren Schlittenzüge von dem großen. Vermutlich näherten wir uns dem Vorposten, wo die Inspektoren den Zug besteigen würden.
Aus fünfzig Fuß Entfernung konnten wir den großen Zug kaum noch sehen; nach weiteren fünfzig war er verschwunden. Eine Minute später wurde sogar das
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