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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Klopfen seines Triebwerks durch den Schnee gedämpft und von dem höheren Ton, den der Motor unseres kleinen Zuges erzeugte, übertönt.
    Das war wohl kaum das, was ich im Kopf gehabt hatte, als ich zwei Wochen zuvor bei dem großen Voko aus dem Chorraum hinausmarschiert war! Selbst als ich die Entscheidung getroffen hatte, Orolo über den Pol zu folgen, hätte ich mir nie träumen lassen, dass die letzte Etappe der Reise so aussehen würde. Wenn mir jemand damals in Samble erzählt hätte, dass ich eine solche Fahrt würde antreten müssen, hätte ich mir einen Vorwand einfallen lassen, es nicht zu tun, und mich auf direktem Weg nach Tredegarh begeben. Was mir in Samble allerdings nicht klar gewesen wäre, war das Ausmaß der Routine, mit der das alles geschah. Leute machten es andauernd. Ich brauchte nur vierundzwanzig Stunden totzuschlagen, die Zeit also, die dieses Gefährt bis ans Meer unterwegs sein würde.
    Wir vier Passagiere saßen auf zwei seitwärts ausgerichteten Bänken, auf denen acht Platz gehabt hätten. In unseren Anzugsäcken sahen wir alle mehr oder weniger gleich aus. Verglichen mit denen der anderen war meiner neu, obwohl ich jetzt eine Woche lang in ihm gelebt hatte. Trotz aller Mühe, die wir uns gegeben hatten, mich mit armselig aussehendem Gepäck auszurüsten, glänzte meins immer noch im Vergleich zu dem der ersten beiden Passagiere: Polyeinkaufstüten, mit Polyfaden verschnürt und mit Polytape verstärkt. Der zuletzt eingestiegene Passagier hatte einen alten Koffer, der mit einem ordentlichen Netz aus gelbem Seil verschnürt war.
    Die ersten beiden hießen Laro und Dag, der letzte war Brajj, alles halbwegs gängige extramurische Namen. Ich sagte, ich hieße Vit. Jede weitere Unterhaltung wurde durch den Motorenlärm erschwert, und sehr gesprächig schienen diese Burschen ohnehin nicht zu sein. Laro und Dag drängten sich unter einer Decke zusammen. Ich hatte die Vorstellung, dass sie Brüder waren. Brajj, der zuletzt eingestiegen war, saß am nächsten bei den hinteren Zeltklappen. Für seinen massigen Körper (er war etwas dicker als ich) und seinen klobigen Koffer beanspruchte er viel Platz. Aber den gestanden wir ihm wegen des Schnees, der hinter dem Schlitten aufstob und hereinwirbelte, gerne zu.
    Alle meine Bücher hatte ich bei Cord gelassen. Niemand hatte
einen Spulo. Draußen gab es außer Schneegestöber auch nichts zu sehen. Ich stellte mein katalytisches Heizgerät auf die niedrigste Stufe, die meine Finger eben noch am Leben hielt, verschränkte die Arme, legte die Beine auf meinen Rucksack, sank auf der hölzernen Bank zusammen und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie langsam die Zeit verging.
     
    Mir kam es vor, als läge mein Leben in der behaglichen Umgebung des Konzents schon Jahre zurück. Doch hier auf diesem Schlitten war ich in einen Tagtraum verfallen, wo ich meine Fraas und Suurs praktisch vor mir sehen und ihre Stimmen hören konnte. Von Arsibalt, Lio und Jesry wechselte ich zu dem eindeutig erfreulicheren Bild von Ala. Ich stellte sie mir in Tredegarh vor, einem Ort, von dem ich kaum etwas wusste, außer dass er älter und viel größer war als Saunt Edhar und dass das Klima dort besser war und die Gärten und Haine sich üppiger und wohlriechender präsentierten. Ich musste eine Phantasie dazwischenschalten, in der ich diese Fahrt überlebte, Orolo fand, nach Tredegarh zurückfuhr und durch das Tor eingelassen wurde, statt verstoßen zu werden oder die nächsten fünf Jahre ausschließlich in Gesellschaft des Buchs verbringen zu müssen. Nachdem ich diese formalen Dinge aus dem Weg geräumt hatte, beschwor ich einen Halbwachtraum von einem erlesenen Abendessen in einem reichen alten Refektorium in Tredegarh herauf, bei dem Fraas und Suurs aus der ganzen Welt ihre Gläser mit ausgesprochen wohlschmeckendem Zeug auf mich und Ala erhoben, weil wir diese Beobachtungen mit der Lochkamera gemacht hatten. Dann nahm der Tagtraum eine privatere Wendung, die mit einem langen Spaziergang in einem abgeschiedenen Garten zu tun hatte … das machte mich schläfrig. Er ging anders aus, als ich erwartet hatte. Welcher Teil meines Bewusstseins auch immer für Tagträume zuständig war, diesen hier gestaltete er so, dass er mich tröstete und einlullte und nicht etwa Leidenschaft weckte.
    Eine Schwerpunktverlagerung des Schlittens machte mich gerade wach genug, um zu wissen, dass ich geschlafen hatte.
    Bei der Überquerung des Pols waren wir einer gedrungenen Landenge

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