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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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behandelt. Wir wissen also nicht, was der Himmelswart davon hält. Aber wir können mutmaßen. Für ihn ist es wahrscheinlich …«
    »Ein Wunder«, sagte Yul.
    »Besuch aus einer anderen Welt, reiner und besser als unsere«, vermutete ich.
    »Wo die böse Verschwörung nicht existiert«, sagte Cord. »Gekommen, um die Wahrheit zu offenbaren.«
    »Was ist mit dem Laserstrahl, der auf die Drei Unversehrten herabschien?«, fragte Sammann. »Wie würden sie den deuten?«
    »Kommt drauf an, ob sie wissen, dass die Drei Unversehrten Atommülldeponien sind«, sagte ich.
    » Was?! «, riefen die Crades aus.
    »Selbst wenn sie das wissen«, sagte Cord, »würden sie ihn eher spirituell deuten.«
    Obwohl Gnel seine Fassung noch nicht ganz wiedergewonnen hatte, warf er ein: »Für den Himmelswart sind die Tausender die Guten.«
    »Natürlich«, sagte ich. »Sie kennen die Wahrheit, können die Kunde davon jedoch nicht verbreiten, weil sie von den hinterhältigen Zehnern und Hundertern eingeschlossen sind, stimmt’s?«
    »Ja«, bestätigte Gnel. »Deshalb wäre das Laserlicht in seinen Augen …«
    »Eine Segnung«, sagte Cord.
    »Eine Weihung«, sagte ich.
    »Eine Einladung«, sagte Yul.
    »Junge, die können sich ja auf eine Überraschung gefasst machen!«, sagte Sammann erfreut.
    »Wahrscheinlich. Vielleicht. Wir wissen es nicht. Ich hoffe nur, dass es nicht eine böse Überraschung für Jesry wird«, sagte ich.
    »Jesry, den Mistkerl?«, sagte Cord.
    »Ja«, sagte ich glucksend. »Jesry, den Mistkerl.«
    Ich freute mich, weil es so aussah, als wären wir durch dieses Thema durchgekommen, ohne eine Predigt von Ganelial Crade ertragen zu müssen, doch mir wurde ganz anders, als Cord sich zu ihm umdrehte und fragte: »An welcher Stelle hat der Wart sich von eurem Glauben getrennt, Gnel?« Der letzte Teil des Satzes kam etwas
gehetzt und gedämpft heraus, weil Yul spielerisch die Hand um ihre Schulter herum auf ihren Mund gelegt hatte und sie während des Sprechens seine Finger zurückbog.
    »Wir haben die Heilige Schrift selbst im ursprünglichen Bazisch gelesen«, sagte Gnel, »könnten also von daher für primitive Fundamentalisten gehalten werden. Vielleicht sind wir das in dieser Hinsicht auch. Aber wir sind nicht blind für das, was während der letzten fünfzig Jahrhunderte in der – Alten wie Neuen – mathischen Welt vor sich gegangen ist. Das Wort Gottes verändert sich nicht. Die Bibel erfährt keine Bearbeitung oder Übersetzung. Was jedoch die Menschen außerhalb der Bibel wissen und verstehen, verändert sich ständig. Und genau das tut ihr Avot: Ihr versucht, Gottes Schöpfung zu verstehen, ohne euch auf die direkte Offenbarung zu stützen, die Gott uns vor fast sechstausend Jahren geschenkt hat. Für uns seid ihr wie Leute, die sich selbst die Augen ausgestochen haben und jetzt versuchen, einen neuen Kontinent zu erforschen. Ihr seid schwer benachteiligt – aber aus diesem Grund mögt ihr Sinne und Fähigkeiten entwickelt haben, die uns fehlen.«
    Nach einer Zeit des Schweigens sagte ich: »Ich werde einfach den Mund halten und nicht einmal auf all das eingehen, was in deinen Ausführungen falsch war. Das Wesentliche scheint zu sein, dass wir nicht böse oder fehlgeleitet sind. Du glaubst, dass wir uns am Ende mit der Bibel einverstanden erklären werden.«
    »Natürlich«, sagte Gnel, »es muss so sein. Wir glauben aber nicht, dass es eine geheime Verschwörung gibt, um die Wahrheit zu verbergen.«
    »Er glaubt, dass eure Verwirrung echt ist!«, übersetzte Yul. Gnel nickte.
    »Das ist sehr freundlich von dir«, sagte ich.
    »Wir haben Saunt Blys Notizbücher aufgehoben«, sagte Gnel. »Ich habe sie selbst gelesen. Daraus geht offenkundig hervor, dass er kein Deolatist war.«
    »Entschuldige, wenn ich das so sage«, fing Sammann an – so begann er immer, wenn er sich anschickte, jemanden zu beleidigen -, »aber ist es nicht ein bisschen hirnrissig, wenn ein Häufchen Deolatisten auf den Schriften von jemandem, von dem sie wissen, dass er Atheist war, eine Religion begründen?«
    »Wir identifizieren uns mit seinem Ringen«, sagte Gnel, nicht
im Mindesten beleidigt. »Seinem Ringen auf der Suche nach der Wahrheit.«
    »Aber kennt ihr die Wahrheit nicht bereits?«
    »Wir kennen die Wahrheiten, die in der Bibel stehen. Wahrheiten, die nicht darin stehen, spüren wir, aber wir kennen sie nicht.«
    »Das klingt wie etwas …«, fing ich an, biss mir aber sofort auf die Zunge.
    »Das ein Avot sagen würde?

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