Anathem: Roman
indem ich wach wurde und etwas tat.
Ekba war auf eine heiße, schroffe Weise wunderschön. Einen ganzen Tag hatten wir nur damit zugebracht, Schutzmaßnahmen gegen Sonne und Hitze zu treffen. Nördlich einer steil abfallenden felsigen Landzunge hatten wir eine nach Osten gewandte Bucht gefunden, die uns fast den ganzen Tag Schatten spendete, und Yul hatte uns gezeigt, wie man Pflöcke tief im Sand verankerte, sodass wir Planen aufspannen konnten, die am späten Nachmittag die tiefstehende Sonne abhielten. Die einzige Zeit, wo sie uns richtig auf den Kopf schien, war in den frühen Morgenstunden, bevor die Hitze zu schlimm wurde. Eine kleinere Insel eine halbe Meile vor der Küste brach und zerteilte die heranrollende Brandung, weshalb die Wellen hier klein, aber unberechenbar waren. Die Bucht, die so seicht und felsig war, dass nur kleinste Boote hineinfahren konnten, war unserer Einschätzung nach nie besiedelt oder für irgendetwas genutzt worden. Wir rechneten die ganze Zeit damit, dass irgendein Mensch mit knalligen Insignien auf uns zustürzen und uns vertreiben würde, aber nichts dergleichen geschah. Das Gelände schien kein Privatbesitz zu sein. Es war kein Park. Es war einfach da. Ekbas einzige richtige Siedlung (abgesehen von dem Math in Orithena) umgab den Fährhafen, Luftlinie fünf Meilen entfernt, über die Straße an der Inselküste entlang fünfzehn. Eine von der Sonne betriebene Entsalzungsanlage gewann und verkaufte dort Trinkwasser. Yul hatte dort gleich nach unserer Ankunft zwei modrig riechende Wasserblasen aus alten Militärbeständen aufgefüllt. Damit und mit dem Essen, das wir bei Bauern auf dem Festland gekauft hatten, würden wir bestimmt eine Woche auskommen.
Der Tag, nachdem wir das Lager errichtet und die Planen gespannt hatten, war in stillschweigender allgemeiner Übereinkunft ein Ruhetag gewesen. Zerfledderte Bücher waren aus den Tiefen
von Taschen aufgetaucht. Irgendjemand schnarchte immer, irgendjemand schwamm immer. Ich borgte mir von Cord eine Spitzzange und riss mir die Fäden heraus, dann setzte ich mich bis zum Hals in die Brandung, bis die Wunden taub wurden. Es gibt noch mehr, was ich über Heilung sagen könnte, aber nicht werde. Meinem Körper dabei zuzusehen, wie er seine Regenerationskräfte aufbot, fand ich damals faszinierend, und wahrscheinlich erklärte das die seltsamen Träume, die ich über die metallenen Gliedmaßen und kristallklaren Organe der außerarbrischen Sonde gehabt hatte. Die Versuchung war groß, über die Beziehung zwischen Geist und Körper zu philosophieren. Der Lorit in mir fand jedoch, das sei Zeitverschwendung. Effektiver wäre es, eine Bibliothek aufzusuchen und zu lesen, was bessere Denker darüber geschrieben hatten.
Am Abend des Vortags hatte Yul die Stille des Ortes gestört, indem er den Motor seines Hols anließ, und ein paar von uns waren zu einer gemütlichen zweistündigen Inselumrundung aufgebrochen. Die Lage des Vulkans war natürlich kein Geheimnis; es gab kaum eine Stelle, von der aus man ihn nicht sehen konnte. Er war steil, was, wie Fraa Haligastreme mich gelehrt hatte, bedeutete, dass er gefährlich war. Manche Vulkane produzierten dünnflüssige Lava, die sich schnell ausbreitete; sie waren linsenförmig und sicher, vorausgesetzt, man konnte schneller laufen als die Lava. Andere erzeugten dickflüssige Lava, die langsam floss und steile Hänge bildete; sie waren gefährlich, weil angestauter Druck sich nur durch Explosionen entladen konnte.
Diese Insel war der letzte Halt auf einer Fährroute, die vom Festland aus mehr oder minder süd-südöstlich verlief; wir waren also mit dem Schiff von Norden her gekommen. Die Abfertigungsstelle und die Stadt waren um den einzigen noch vorhandenen Hafen der Insel herumgebaut worden, eine gleichsam aus der nordwestlichen Extremität der nahezu runden Insel herausgebissene Lücke. Unser Lager befand sich im Nordosten, in einer von mehreren dicht nebeneinanderliegenden Buchten, die durch Finger aus erstarrtem Magma voneinander getrennt waren; diese hatten sich viele Jahrhunderte, bevor Ekba besiedelt worden war, aus der Caldera herabgestreckt. Alles, was wir während dieser ersten paar Tage von dem Vulkan wahrnahmen, war also seine Nordseite, die ebenmäßig und anmutig aussah – auch wenn ich Haligastremes Bemerkung im Ohr hatte, er sei gefährlich steil. Die Fahrt am Vortag hatte uns im
Uhrzeigersinn um die Insel geführt, hinunter entlang ihrer östlichen Küste, und nach ein paar
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