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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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begegnen!«
    Ich schweifte einen Moment lang mit den Gedanken ab, als ich zum Fuß der Treppe hinunterschaute, wo eine größere Gruppe von Fraas und Suurs stand, die offenbar alle mit mir reden wollten. Ich versuchte, sie einzuschätzen, ohne Blickkontakt herzustellen. Einige, fürchtete ich, bezeichneten sich selbst als Angehörige
der Stammlinie und wollten einen geheimen Händedruck mit mir wechseln. Andere wollten mir wahrscheinlich den ganzen Nachmittag lang erzählen, warum Evenedrik unrecht hatte. Dann waren da bestimmt noch hartgesottene Halikaarnier, die wütend waren, weil ich es nicht geschafft hatte, Fraa Lodoghir zu ebnen, und Leute wie Suur Maroa, die spezielle Fragen dazu hatten, was ich in Orithena gesehen hatte. Ich dachte, dass es vielleicht einfacher war, wie Emman Beldo einer geregelten Arbeit nachzugehen …
    Fraa Lodoghir rettete mich – in gewisser Weise. Er drängte sich bis an den Fuß der Treppe vor. »Tja, nun hast du es tatsächlich geschafft, Fraa Erasmas!«, sagte er.
    »Was habe ich geschafft, Fraa Lodoghir?«
    »Dass sie uns in die äußerste Dunkelheit verbannen – an den Arsch der mathischen Welt, soweit es mich betrifft.«
    »Wäre das nicht der Konzent von Savant Edhar?«
    »Nein, es gibt einen Ort, der noch schlimmer ist«, verkündete er. »Das Pluralität-der-Welten-Messale in Avrachons Dotat. Dort werden wir unsere Nahrung einnehmen, bis ich die Hierarchen zur Vernunft gebracht habe.«
    »Wer sind diese ›wir‹, von denen du sprichst?«
    »Du musst achtgeben, Fraa Erasmas!«
    »Worauf?«
    »Darauf, wo dein Platz in der Konvox ist!«
    »Und wo ist mein Platz?«
    »Du stehst hinter mir, während ich esse. Faltest meine Serviette, wenn ich aufstehe, um zur Toilette zu gehen.«
    »Was!?«
    »Du bist mein Servitor, Fraa Erasmas, und ich bin dein Doyn. Ich habe vor dem Essen gern ein feuchtes Gesichtstuch, warm, aber nicht zu warm. Kümmere dich darum – wenn du nicht den Rest der Konvox damit verbringen willst, das Buch zu studieren.« Er drehte sich um und schritt von dannen.
    Emman Beldo sah mich interessiert an.
    Eigentlich hätte ich von dieser schrecklichen Neuigkeit völlig niedergeschmettert sein müssen, aber ich war ein wenig durcheinander, und es freute mich, Fraa Lodoghir so verärgert zu sehen.
    »Tja«, sagte ich zu Emman Beldo, »nun hast du eine Wahl. Wenn du etwas über die Bedrohung erfahren willst, die von den Geometern ausgeht, kannst du überall hingehen außer dorthin, wo ich hingehe.
Wenn du eine Antwort auf die Frage willst, warum wir bei diesem Plenar über so entlegene Themen gesprochen haben, kannst du dich mir und Fraa Lodoghir am Arsch der mathischen Welt anschließen.«
    »Oh, ich komme bestimmt!«, sagte er. »Das wird sich mein Doyn nicht entgehen lassen.«
    »Und wer ist dein Doyn?«
    »Wir beide werden sie mit ›Frau Ministerin‹ anreden«, ermahnte er mich, »aber sie heißt Ignetha Foral.«

Teil 10
    MESSALE

    Lorit: Angehöriger eines von Saunt Lora gegründeten Ordens; diese war der Überzeugung, dass sämtliche Ideen, die der menschliche Verstand hervorzubringen imstande ist, bereits hervorgebracht worden sind. Loriten sind demzufolge Historiker des Denkens, die andere Avot bei deren Arbeit unterstützen, indem sie auf solche hinweisen, die in der Vergangenheit Ähnliches gedacht haben, und sie so davon abhalten, das Rad neu zu erfinden.
     
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000

    D ie Geometer haben uns vor sich wie ein auf einem Tisch fixiertes biologisches Untersuchungsexemplar«, sagte Ignetha Foral, nachdem wir die Suppe serviert hatten. »Sie können nach Herzenslust an uns herumstochern und herumsondieren und unsere Reaktionen beobachten. Als wir entdeckt haben, dass sie sich im Orbit um Arbre befinden, haben wir angenommen, dass bald etwas passieren würde. Aber das lässt nun schon so lange auf sich warten, dass es zum Verrücktwerden ist. Die Geometer können sich alles Wasser, das sie brauchen, aus Kometen holen, und sämtliche Rohstoffe, die sie brauchen, aus Asteroiden. Das Einzige, was sie nicht können – vermuten wir -, ist, auf interstellare Reisen zu gehen. Aber es könnte sein, dass sie es gar nicht so eilig haben.« Sie hielt inne, um sich die Kehle anzufeuchten. An ihrem Handgelenk schimmerte ein Armband. Es sah wertvoll, aber nicht protzig aus. Alles an ihr bestätigte, was Tulia uns vor Monaten in Edhar erzählt hatte: dass sie aus einer betuchten Burgher-Familie mit alten Verbindungen zur mathischen Welt

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