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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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stammte. Noch war nicht klar, warum sie hier war und den eindrucksvoll klingenden Titel »Frau Ministerin« trug. Laut den Informationen, die Tulia ausgegraben hatte, war sie vom Himmelswart ihres säkularen Postens enthoben worden. Doch das war schon eine Weile her. Vor einigen Wochen war der Himmelswart aus der Luftschleuse geworfen worden. Vielleicht hatte sich die Säkulare Macht, während ich auf Ekba abgelenkt gewesen war, neu organisiert, und man hatte Ignetha Foral aus der Versenkung geholt und ihr einen neuen Posten gegeben.
    Nachdem sie eine kleine Erfrischung zu sich genommen hatte, stellte Frau Ministerin Blickkontakt zu den anderen sechs am Tisch her. »Das jedenfalls sage ich zu meinen Kollegen, wenn sie wissen wollen, warum ich bei diesem Messale meine Zeit vergeude.« Sie sagte das in launigem Ton. Fraa Lodoghir lachte dröhnend. Alle anderen
brachten zumindest ein Schmunzeln zustande, ausgenommen Fraa Jad, der Ignetha Foral anstarrte, als wäre sie das bereits erwähnte biologische Untersuchungsexemplar. Sie war immerhin so wachsam, dass sie das bemerkte. »Fraa Jad«, sagte sie und neigte den Kopf zu einer angedeuteten Verbeugung leicht in seine Richtung, »sieht das alles natürlich langfristig und denkt wahrscheinlich insgeheim, dass meine Kollegen eine gefährlich kurze Aufmerksamkeitsspanne haben müssen. Aber mein Metier sind nun einmal die politischen Mechanismen dessen, was ihr die säkulare Welt nennt. Und für viele in dieser Welt sieht dieses Messale wie eine Verschwendung der Geistesgaben einiger sehr kluger Köpfe aus. Noch das Freundlichste, was einige darüber sagen werden, ist, dass es sich als Ort eignet, an den man schwierige, unbedeutende oder unverständliche Menschen verbannen kann, damit sie den wichtigen Geschäften der Konvox nicht in die Quere kommen. Was würdet ihr an diesem Tisch empfehlen, wie ich auf die Argumente derer antworten soll, die sagen, man müsste es abschaffen? Suur Asquin?«
    Suur Asquin war unsere Gastgeberin: derzeitige Hereditorin von Avrachons Dotat und demzufolge, wenn auch nicht dem Namen nach, dessen Besitzerin. Ignetha Foral hatte sie als Erste angesprochen, weil sie den Eindruck machte, als habe sie etwas zu sagen, aber auch, so vermutete ich, weil es der Etikette entsprach. Jedenfalls hatte Suur Asquin zunächst einmal etwas bei mir gut, weil sie uns beim Essenmachen geholfen und Seite an Seite mit ihrer Servitorin Tris gearbeitet hatte. Dies war das erste Pluralität-der-Welten-Messale, und so hatten wir eine Zeitlang gebraucht, um uns in der Küche zurechtzufinden, den Backofen anzuheizen usw.
    »Ich glaube, ich hätte einen unrechtmäßig erlangten Vorteil, Frau Ministerin, da ich hier lebe. Ich würde die Frage dadurch beantworten, dass ich deinen Kollegen Avrachons Dotat zeigen würde, das, wie ihr alle gesehen habt, so etwas wie Museum ist …«
    Ich stand hinter Fraa Lodoghir, und meine auf dem Rücken verschränkten Hände hielten das zu einem Knoten geschlungene Ende eines Seils, das in einem Loch in der Wand verschwand und dreißig Fuß weit bis zur Küche verlief. Jemand zog am anderen Ende daran, ein stummer Ruf nach mir. Ich beugte mich vor, um mich zu vergewissern, dass ich meinem Doyn nicht das Kinn abwischen musste, dann ging ich um den Tisch herum, wobei ich anderen Servitoren auswich. Unterdessen versuchte Suur Asquin eine These zu
entwickeln, derzufolge der bloße Anblick der im Dotat verstreuten, alten wissenschaftlichen Instrumente noch den skeptischsten Extra überzeugen würde, dass reine Metatheorik säkularer Unterstützung wert sei. Für mich war offensichtlich, dass sie mittels Hypotrochischer Transquästiation behauptete, dass reine Metatheorik die einzige Beschäftigung dieses Messale sein würde, womit ich überhaupt nicht einverstanden war – aber ich durfte erst sprechen, wenn ich angesprochen wurde, und ging davon aus, dass die anderen hier selbst auf sich aufpassen konnten. Fraa Tavener – alias Barb – stand hinter Fraa Jad und sah Suur Asquin an wie ein Vogel ein Insekt, ganz versessen darauf, sich einzumischen und sie zu ebnen. Im Vorbeigehen zwinkerte ich ihm zu, aber er merkte es nicht. Ich ging durch eine schallgedämmte Tür und betrat einen längeren Flur, der als Luft- oder vielmehr Schallschleuse diente. An dessen Ende befand sich eine weitere schallgedämmte Tür. Ich schob mich hindurch – sie war so aufgehängt, dass sie in beide Richtungen schwang – und betrat die Küche, ein jäher, furchtbarer

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