Anathem: Roman
und beugte mich vor. »Schaff diesen edharischen Haferschleim weg«, flüsterte er. »Er ist vollkommen ungenießbar.«
»Du solltest erst mal sehen, was die Matarrhiten zusammenbrauen!«, murmelte ich. Fraa Lodoghir warf einen kurzen Blick über den Tisch auf einen Avot – einen von denen, die früher am Tag Embrase mit mir gefeiert hatten -, dessen Gesicht von seiner Kulle bedeckt war. Er oder sie hatte sich den Stoff seitlich über den Kopf gezogen, wie um eine Kapuze zu bilden, doch diese war dann über das Gesicht herabgezogen worden, sodass nur eine Öffnung blieb, durch die Essen – wenn dies denn der korrekte Begriff für das war, was sich die Matarrhiten bei Mahlzeiten in den Mund schoben – eingeführt werden konnte. »Ich nehme, was das da isst«, zischte Lodoghir. »Aber nicht das hier!«
Ich blickte angelegentlich auf Fraa Jad, der sich das Zeug in den Mund schaufelte, dann konfiszierte ich Lodoghirs Portion und beförderte sie hinaus, froh darüber, dass ich einen Vorwand hatte, in die Küche zurückzukehren.
»Vollkommen ungenießbar«, wiederholte ich und kratzte es in den Kompost.
»Vielleicht sollten wir ihm ein bisschen Allesgut untermischen«, schlug Arsibalt vor.
»Oder was Stärkeres«, gab ich zurück. Doch bevor wir dieses vielversprechende Thema vertiefen konnten, schwang die Hintertür auf, und herein kam eine junge Frau, gehüllt in einen Hektar schwere, kratzig aussehende, schwarze Kulle, die mit zehn Meilen Kord an ihrem Körper verzurrt war. Ihre eingedrückte Sphär quoll von gemischtem Grünzeug über. Im Freien hatte sie den Kopf stets bedeckt, doch sowie sie das Grünzeug abgesetzt hatte, schlug sie ihre Kulle zurück, sodass ihr vollkommen glatter Schädel zum Vorschein kam, den Schweißtröpfchen bedeckten, weil es ein warmer Tag und sie zu dick angezogen war. Arsibalt und ich fühlten uns in Gegenwart von Suur Karvall nicht so wohl wie in Gegenwart von Tris, weshalb jegliches Gealbere sofort aufhörte. »Das ist aber eine schöne Auswahl von Grünzeug«, begann Tris, doch Karvall zuckte zusammen und hob Schweigen gebietend eine knöcherne, durchscheinende Hand.
Fraa Lodoghir hatte zu sprechen begonnen. Das war wohl auch der Grund dafür, warum er seinen »Haferschleim« abgetragen haben wollte.
»Pluralität der Welten«, begann er und ließ den Begriff einen ausgedehnten Moment lang nachhallen. »Hört sich eindrucksvoll an. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was der Begriff für einige hier bedeutet. Die bloße Tatsache, dass die Geometer existieren, beweist, dass es noch mindestens eine weitere Welt gibt, und so ist der Begriff auf einer bestimmten Ebene ziemlich trivial. Aber da es so scheint, als wäre ich bei diesem Messale der Vorzeigeprokier, werde ich meine Rolle auch spielen und sage Folgendes: Wir haben nichts mit den Geometern gemeinsam. Keine gemeinsamen Erfahrungen, keine gemeinsame Kultur. Solange sich das nicht ändert, können wir nicht mit ihnen kommunizieren. Warum nicht? Weil Sprache nichts anderes ist als ein Strom von Symbolen, die vollkommen bedeutungslos sind, bis wir sie in unserem Denken mit Bedeutung assoziieren: ein Prozess der Akkulturation. Solange wir nicht Erfahrungen mit den Geometern teilen und dadurch eine gemeinsame Kultur mit ihnen zu entwickeln beginnen – im Effekt also unsere Kultur mit der ihren verschmelzen -, können wir nicht mit ihnen kommunizieren, und ihre Bemühungen, mit uns zu kommunizieren, werden weiterhin genauso unverständlich sein wie ihre bisherigen Gesten: dass sie den Himmelswart aus der Luftschleuse geworfen, ein frisches Mordopfer über einer Kultstätte abgeworfen und einen Vulkan gestangt haben.«
Sowie er innehielt, übertrugen die Lautsprecher das Stimmengewirr der Reaktionen mehrerer Leute:
»Ich bin nicht der Meinung, dass sie unverständlich sind.«
»Aber sie müssen unsere Spulos gesehen haben!«
»Du hast eine völlig falsche Vorstellung von Pluralität der Welten.«
Aber Suur Asquin äußerte sich als Letzte und am deutlichsten. »Viele andere Messale beschäftigen sich mit den Themen, die du angesprochen hast, Fraa Lodoghir. Im Geiste der Eröffnungsfrage von Frau Ministerin: Warum sollte überhaupt ein eigenes Pluralität-der-Welten-Messale stattfinden?«
»Tja, das könntest du einfach die Hierarchen fragen, die es installiert haben!«, antwortete Fraa Lodoghir ein wenig verächtlich. »Aber wenn du meine Antwort als Prokier willst, so fällt sie ganz direkt aus: Die Ankunft der Geometer
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