Anathem: Roman
auch, wie man eine Konvox aufzieht. Wenn viele Leute Zeit investieren, ohne Ergebnisse zu erzielen, macht sie das nervös.«
»Oh, ich verstehe«, sagte Tris zögernd.
»Wie komisch!«, sagte Karvall und machte sich wieder an die Arbeit.
Emman verdrehte die Augen.
»Zugegeben, ich bin keine Theorin«, sagte Ignetha Foral gerade
über den Lautsprecher, »aber je mehr ich davon höre, desto weniger verstehe ich deine Position, Fraa Lodoghir. Drei ist eine Primzahl. Sie ist heute eine Primzahl und war gestern eine Primzahl. Vor einer Milliarde Jahren, bevor es Gehirne gab, die darüber nachdachten, war sie auch schon eine Primzahl. Und wenn sämtliche Gehirne morgen vernichtet würden, wäre sie immer noch eine Primzahl. Ihre Primzahlhaftigkeit hat eindeutig nichts mit unserem Gehirn zu tun.«
»Sie hat alles damit zu tun«, insistierte Lodoghir, »weil wir die Definition dessen liefern, was es heißt, eine Primzahl zu sein!«
»Kein Theor, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, kann sich lange dem Schluss entziehen, dass die Knoons unabhängig davon existieren, was zu einem gegebenen Zeitpunkt in den Gehirnen von Leuten vorgehen mag oder auch nicht«, sagte Paphlagon. »Das ist eine schlichte Anwendung der Waage. Wie lässt sich am einfachsten erklären, dass Theoren, die unabhängig voneinander in verschiedenen Zeitaltern, verschiedenen Unterdisziplinen, ja sogar verschiedenen Kosmen arbeiten, immer und immer wieder dieselben Ergebnisse beweisen – Ergebnisse, die einander nicht widersprechen, obwohl sie über verschiedene Beweisketten erzielt wurden -, Ergebnisse, die sich teilweise in Theorien ummünzen lassen, die das Verhalten des physikalischen Universums perfekt beschreiben? Die einfachste Antwort lautet, dass die Knoons tatsächlich existieren und nicht diesem Kausalbereich entstammen.«
Arsibalts Glocke bimmelte. Ich beschloss, mit ihm zu gehen. Wir nahmen eine riesige Darstellung des Ikosaeders von einem Wandteppich hinter Paphlagon ab. Karvall und Tris kamen herein und halfen, den Wandteppich abzunehmen, hinter dem eine Wand aus dunkelgrauem Schiefer und ein Korb mit Kreide zum Vorschein kam. Der Dialog hatte sich in eine Darstellung des Komplexen im Gegensatz zum Einfachen Protismus verwandelt, und daher forderte man Arsibalt auf, die gleichen Diagramme auf den Schiefer zu zeichnen, die Fraa Kriskan vor einigen Wochen in den Staub der auf Blys Koppie führenden Straße gezeichnet hatte, um mir und Lio dieses Thema zu erklären: Güterzug, Exekutionskommando, Docht und so weiter. Ich bewegte mich im Fortgang der Darstellung zwischen dort und der Küche hin und her. Ignetha Foral war mit diesem Material schon seit langem vertraut, doch für verschiedene andere war es neu. Besonders Zh’vaern stellte mehrere Fragen.
Emman verstand ausnahmsweise einmal weniger von dem, was vor sich ging, als seine Doyn, und so behielt ich, während er und ich an Garnierungen für die Desserts arbeiteten, sein Gesicht im Auge und half mit kleinen Erklärungen aus, wenn sein Blick glasig wurde.
Als ich in den Messallan zurückkehrte, um abzuräumen, erklärte Paphlagon gerade den Docht: »Ein vollständig verallgemeinerter gerichteter azyklischer Graph, in dem kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen, einerseits, so genannten theorischen Welten und, andererseits, bewohnten wie Arbre, Quator und den anderen. Zum ersten Mal haben wir Pfeile, die vom arbrischen Kausalbereich weg und auf andere bewohnte Welten zeigen.«
»Willst du damit etwa andeuten«, fragte Lodoghir, als traute er seinen Ohren nicht recht, »dass Arbre die Hyläische Theorische Welt irgendeiner anderen Welt sein könnte, in der Menschen leben?«
»Einer beliebigen Anzahl solcher Welten«, sagte Paphlagon, »die ihrerseits die HTWs wieder anderer Welten sein könnten.«
»Aber wie können wir denn eine solche Hypothese verifizieren?«, wollte Lodoghir wissen.
»Gar nicht«, gab Jad in seiner ersten Äußerung des ganzen Abends zu, »es sei denn, diese Welten kommen zu uns.«
Lodoghir brach in dröhnendes Gelächter aus. »Fraa Jad! Ich muss dich loben! Was wäre dieses Messale ohne deine Pointen? Ich bin zwar mit keinem Wort von dem, was du sagst, einverstanden, aber es sorgt für eine unterhaltsame – weil völlig unvorhersagbare – Mahlzeit!«
Den ersten Teil dieser Äußerung hörte ich unmittelbar, die zweite Hälfte über den Lautsprecher in der Küche, wohin ich mich mit einem Armvoll Teller verfügt hatte. Emman stand an der
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