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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Arbeitsplatte, auf der wir die Phototypien ausgebreitet hatten, und tippte mit dem Daumen etwas in sein Nicknack. Mich ignorierte er, doch er hob den Blick und richtete ihn auf nichts Bestimmtes, als Ignetha Foral zu sprechen begann: »Das Material ist interessant, die Erklärung überzeugend, aber ich finde mich trotzdem nicht mehr zurecht. Gestern Abend hat man uns eine Geschichte darüber erzählt, wie sich der Begriff Pluralität der Welten verstehen ließe, und das hatte mit dem Hemnraum und mit Weltspuren zu tun.«
    »Und ich durfte das den ganzen Tag lang Sälen voller Bürokraten erklären«, beklagte sich Emman mit theatralischem Gähnen. »Und jetzt das!«

    »Und jetzt«, sagte Ignetha Foral, »hören wir eine ganz andere Darstellung davon, die mit der ersten offenbar überhaupt nichts zu tun hat. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob wir beim morgigen Messale nicht eine weitere und am Tag danach wieder eine andere Geschichte zu hören bekommen.«
    Das löste eine Runde nicht sonderlich interessanter Gesprächsbeiträge im Messallan aus. Die Servitoren nutzten sie zum Abräumen. Arsibalt trottete in die Küche und machte sich am Fass zu schaffen. »Ich stärke mich wohl am besten«, erklärte er, an niemand Bestimmten gewandt, »da ich dazu verdammt bin, den Rest des Abends Lichtblasen zu zeichnen.«
    »Was ist eine Lichtblase?«, fragte Emman mich leise.
    »Ein Diagramm, das zeigt, wie Information – Ursache und Wirkung – sich durch Raum und Zeit bewegt.«
    »Zeit, die nicht existiert?«, sagte Emman und wiederholte damit, was zum stehenden Witz geworden war.
    »Ja. Aber das ist in Ordnung. Der Raum existiert auch nicht«, sagte ich. Emman warf mir einen scharfen Blick zu und kam zu dem Schluss, dass ich ihn auf den Arm nahm.
    »Wie geht es denn deinem Freund Lio?«, fragte Emman apropos gestern Abend. Dass er sich an Lios Namen erinnerte, war bemerkenswert, da sie einander nicht offiziell vorgestellt worden waren und kaum ein Gespräch stattgefunden hatte. Allerdings gab es auf der Konvox unzählige Gelegenheiten, andere Leute kennenzulernen, sie konnten einander also sonst wo über den Weg gelaufen sein. Ich hätte keinen weiteren Gedanken daran verschwendet, wenn mein Gespräch mit Lio etwas anderes zum Inhalt gehabt hätte. Gestern war mir in Emmans Gegenwart ganz wohl gewesen. Heute war das anders. Leute, an denen mir lag, ließen sich in eine subversive Bewegung hineinziehen – führten sie in Alas Fall vielleicht sogar an. Lio hatte versucht, mich dafür zu gewinnen, während Emman mir zum Lukub folgen wollte. Konnte es sein, dass die Säkulare Macht Wind davon bekommen hatte und dass Emmans eigentliche Mission darin bestand, sie auffliegen zu lassen und mich dabei als Türöffner zu benutzen? Kein sehr schöner Gedanke – aber so würde ich von jetzt an wohl denken müssen.
    Eine Kombination aus Schwierigkeiten mit dem Zeitunterschied und Angst vor einer Vierten Verheerung hatte mich die ganze Nacht in meiner Zelle wachgehalten. Nur gut, dass der größte Teil des
Tages in einem gewaltigen Plenar bestanden hatte, bei dem man die Geschichte von dem Schachzug mit dem Satelliten erzählt und Phototypien und Spulos gezeigt hatte. Die hinteren Bänke des Unarierschiffs lagen im Dunkeln und boten so viel Platz, dass ich und unzählige andere, lukubmüde Avot sich der Länge nach hatten ausstrecken und Schlaf nachholen können. Als es vorbei gewesen war, hatte mich jemand wachgerüttelt. Ich war aufgestanden, hatte mir die Augen gerieben, den Blick durch das Schiff gehen lassen und Ala zu Gesicht bekommen – das erste Mal, seit sie beim Voko durch den Schirm getreten war. Sie hatte hundert Fuß von mir entfernt in einem Kreis von höher gewachsenen Avot – größtenteils Männer, allesamt älter – gestanden, gegen die sie sich in einer Art ernsthaftem Gespräch anscheinend aber ganz gut behauptet hatte. Einige der Männer waren Säkulare in militärischer Uniform gewesen. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es nicht der glücklichste Zeitpunkt war, zu ihr hinüberzuhüpfen und guten Tag zu sagen.
    »Hey! Raz! Raz! Wie viele Finger halte ich hoch?«, fragte Emman. Tris und Karvall hielten das für witzig. »Wie geht es Lio?«, wiederholte er.
    »Er ist beschäftigt«, sagte ich, »wie wir alle. Er trainiert ziemlich viel mit den Klingenthal-Avot.«
    Emman schüttelte den Kopf. »Schön, dass sie ein bisschen Bewegung bekommen«, sagte er. »Ich wüsste schrecklich gern, was Fesselungen und

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