Anathem: Roman
Rede?«
»Sehr viel konziser, vielen Dank«, sagte Lodoghir. »Aber du glaubst trotzdem an die Evolution!«
»Ja.«
»Tja, das hieße dann aber, dass der Hyläische Fluss sich auf das Überleben auswirkt – oder jedenfalls auf die Fähigkeit bestimmter Organismen, ihre Sequenzen fortzupflanzen«, sagte Lodoghir. »Denn so sind wir und die Antarkten bei fünf Fingern, zwei Nasenlöchern und allem anderen gelandet.«
»Fraa Lodoghir, du nimmst mir die Arbeit ab!«
»Irgendwer muss es ja tun. Fraa Paphlagon, welches denkbare Szenario könnte das alles rechtfertigen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das weißt du nicht?«
»Die Heimsuchung von Orithena ist erst zehn Tage her. Noch strömen Gegebenheiten herein. Du, Fraa Lodoghir, stehst jetzt an vorderster Front, was die Erforschung der nächsten Generation des Protismus angeht.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie unwohl mir dabei ist – wirklich, ich würde lieber essen, was Fraa Zh’vaern gerade isst. Was ist das eigentlich?«
»Endlich stellt Fraa Lodoghir mal eine gute Frage«, sagte Arsibalt. Emman hatte uns per Zug am Seil gerufen; ein überkochender Topf erforderte unsere Aufmerksamkeit. Wir beide wussten ganz genau, wovon Lodoghir redete. Es stand auf dem Ofen, und wir schlichen schon den ganzen Abend nervös drum herum. Geschmortes Haar mit Würfeln aus Verpackungsmaterial und Exoskelettsplittern oder etwas dergleichen. Das Haar schien ein Gemüse zu sein. Doch was Lodoghir und den anderen Teilnehmern des
Messale wirklich Probleme machte, war das explosive Krachen der Exoskelettteile, oder was auch immer sie sein mochten, zwischen Zh’vaerns Backenzähnen. Wir konnten diese Geräusche sogar über den Lautsprecher hören.
Durch einen Rundblick vergewisserte sich Arsibalt, dass Emman und ich mit ihm in der Küche allein waren. »Da ich selbst einem asketischen, klösterlichen, kontemplativen Orden angehöre«, sagte er, »sollte ich wahrscheinlich keine solche Kritik an den armen Matarrhiten üben …«
»Tu dir keinen Zwang an!«, sagte Emman. Er versuchte tapfer, die gesprungene Kasserolle zu reparieren.
»Na schön, wenn ihr darauf besteht!«, sagte Arsibalt. Er umwickelte sich die Hand mit einem Stück seiner Kulle und nahm den Deckel von dem Schmortopf, sodass ein blubbernder Morast aus verdorbenen Kräutern, versetzt mit gefährlich aussehenden Rückenpanzerstücken zum Vorschein kam. »Ich finde, es geht ein bisschen zu weit, wenn man über einen Zeitraum von Jahrtausenden selektiv Nahrungsmittel züchtet, die für alle Nicht-Matarrhiten ekelhaft sind.«
»Ich wette, es ist ein typischer Fall von ›schmeckt gar nicht so schlecht, wie es aussieht, klingt, sich anfühlt und riecht‹«, sagte ich, hielt den Atem an und näherte mich dem Topf.
»Um wie viel?«
»Wie bitte?«
»Um wie viel wettest du?«
»Du schlägst doch nicht etwa vor, dass wir es probieren?«
»Ich schlage vor, dass du es probierst.«
»Wieso nur ich?«
»Weil du die Wette angeboten hast und du der Theor bist.«
»Was bist dann du?«
»Ein Studierender.«
»Du wirst also meine Symptome festhalten? Mein Buntglasfenster entwerfen, wenn ich tot bin?«
»Ja, und das kommt dann dahin«, sagte Arsibalt und deutete auf ein Rauchabzugsloch in der Wand, das ungefähr so groß war wie meine Hand.
Emman war näher gerückt. Karvall und Tris waren aus der Küche hereingekommen, standen dicht beieinander und sahen zu.
Von Frauen beobachtet zu werden änderte alles. »Wie lautet die
Wette?«, fragte ich. »Ich habe nur noch drei Besitztümer.« Und es war eine der ältesten Regeln in der mathischen Welt, dass wir Kulle, Kord und Sphär nicht verwetten durften.
»Der Gewinner muss heute Abend nicht sauber machen«, schlug Arsibalt vor.
»Abgemacht«, sagte ich. Das war einfach. Um die Wette zu gewinnen, musste ich lediglich behaupten, dass es gar nicht so übel schmeckte, und mich nicht übergeben – jedenfalls nicht vor Arsibalt. Und selbst wenn ich verlor, verschafften mir Tris’ und Karvalls exquisit entsetzte Reaktionen, während ich irgendetwas aus der Pampe herausfischte und mir in den Mund steckte, alle Arten von kindischer Befriedigung. Es handelte sich um einen Würfel aus (vermutete ich) irgendeiner quarkartigen, fermentierten Substanz, umwirrt von welken Wedeln und gespickt mit ein paar knirschenden Splittern. Während ich Letztere mit der Zunge verfolgte, rutschten mir die Wedel ein Stück weit in die Speiseröhre, sodass ich krampfhaft zu schlucken begann. Sie
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