Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson

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Mond reflektiert wurde. Um uns herum schwebten simulierte Menschen in Raumanzügen. Er saß vornübergebeugt da und schluchzte.
    Ich erinnerte mich an unsere Messalegespräche darüber, wie wir, selbst wenn eine biologische Interaktion nicht möglich war, auf einfache physische Weise mit den Geometern interagieren konnten. Ich ging zu dem Laterraner hinüber und schloss ihn in die Arme, bis er zu weinen aufhörte.

    »Er hat es mir gesagt«, sagte ich später zu Sammann.
    Er wusste sofort, von wem und was ich sprach. Er wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf. »Wie geht es ihm?«
    »Besser … Er hat etwas Gutes gesagt.«
    »Nämlich?«
    »Ich habe Orolo berührt. Orolo hat Lise berührt – hat sich für sie geopfert. Als ich Jules berührt habe, war das so, als …«
    »Hätte sich ein Kreis geschlossen.«
    »Ich habe ihm erzählt, wie wir ihren Leichnam hergerichtet hatten. Welche Achtung wir ihm erwiesen haben. Das hat er offenbar gern gehört.«
    »Er hat es mir im Flugzeug gesagt«, sagte Sammann. »Mich gebeten, den anderen nichts zu sagen.«
    »Hast du eigentlich so jemanden, Sammann?« Denn trotz der langen Zeit, die wir einander schon kannten, hatten wir solche Themen nie angeschnitten.
    Er schmunzelte und schüttelte den Kopf. »So jemanden? Nein. So jemanden nicht. Ab und zu mal eine Freundin. Ansonsten nur Familie. Ita sind – na ja – eher familienorientiert.« Er verstummte verlegen. Der Gegensatz zu den Avot war überdeutlich.
    »Tja, wo wir gerade davon reden«, sagte ich schließlich, »könntest du mir helfen, noch einen anderen Kreis zu schließen?«
    Er zuckte die Achseln. »Versuchen kann ich es gerne. Worum geht es denn?«
    »Neulich hast du eine Nachricht an Ala durchgegeben. Kurz bevor das Flugzeug gestartet ist. Da war ich irgendwie – schüchtern.«
    »Weil keine Vertraulichkeit gewährleistet war«, sagte er. »Ja, das habe ich gemerkt.«
    »Kannst du ihr noch eine schicken?«
    »Klar. Aber vertraulicher als die letzte wird sie auch nicht sein.«

    Ich gab so etwas wie ein Schmunzeln von mir. »Ja. Aber alles in allem finde ich das akzeptabel.«
    »Okay. Was soll ich Ala sagen?«
    »Dass, wenn ich ein viertes Leben bekomme, ich es mit ihr verbringen möchte.«
    »Mann!«, rief er aus, und seine Augen schimmerten, als hätte ich ihm eine Ohrfeige versetzt. »Das tippe ich mal lieber gleich ein, bevor du es dir anders überlegst.«
    »Ab jetzt gehen wir nur noch vorwärts«, sagte ich, »anders überlegt wird sich jetzt nichts mehr.«
    stangen: Militärische Umgangssprache. Ein typischerweise auf der Oberfläche eines Planeten gelegenes Ziel durch Abwurf einer aus einem dichten Material bestehenden Stange aus dem Weltraum beschießen. Die Stange besitzt weder bewegliche Teile noch Sprengstoffe. Ihre Zerstörungskraft ist eine Folge ihrer extrem hohen Geschwindigkeit.
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
    Den gesamten Flug in den Raum verbrachte ich in der festen Überzeugung, dass die Rakete versagt hatte und dass sich so das Sterben anfühlte. Die Konstrukteure hatten weder die Zeit noch das Budget gehabt, Kinkerlitzchen wie Fenster oder auch nur Spulos einzubauen: nur eine Stromlinienverkleidung, eine dünne Außenhülle, deren Funktion darin bestand, das Mannjifiek vor der Luftdruckwirkung zu schützen, sämtliches Licht fernzuhalten, wodurch gewährleistet wurde, dass wir den Flug in absoluter Dunkelheit und Ahnungslosigkeit hinter uns brachten, und zu vibrieren. Die beiden zuletzt genannten Funktionen sorgten gemeinsam für eine Maximierung des Schreckens. Man stelle sich vor, was man empfindet, wenn man in einem Fass durch Wildwasser schießt. Man stelle sich ferner vor, man würde in eine baufällige Kiste eingesperrt und dann zur Hauptverkehrszeit von einer Überführung aus auf eine achtspurige Schnellstraße geworfen. Und nun stelle man sich vor, man würde in einen gepolsterten Anzug gesteckt und im Klingenthal für das Stockfechttraining verwendet. Und schließlich stelle man sich vor,
man bekäme riesige Lautsprecher an den Schädel geklebt, durch die mit doppelt so viel Dezibel, wie für einen dauerhaften Gehörverlust erforderlich sind, reiner Lärm gepumpt würde. Und nun nehme man alle diese Empfindungen zusammen und stelle sich vor, sie dauerten zehn Minuten an.
    Das einzig Positive, was ich dazu sagen kann, ist, dass es viel besser war als die Art und Weise, wie ich die Stunde verbracht hatte, die dem Vorgang vorausgegangen war: im Dunkeln auf dem Rücken