Anathem: Roman

liegend, in Fetushaltung verkeilt und festgeschnallt und in der sicheren Erwartung, dass ich sterben würde. Verglichen damit erwies es sich als das reinste Kinderspiel, tatsächlich zu sterben. Am unerfreulichsten – und, rückblickend, am peinlichsten – waren die philosophischen Überlegungen gewesen, mit denen ich mir die Zeit vertrieben hatte: dass Orolos und Lises Tod mich darauf vorbereitet hätten, meinen eigenen zu akzeptieren. Dass es gut wäre, Ala diese Nachricht zukommen zu lassen. Und dass ich, selbst wenn ich in diesem Kosmos stürbe, vielleicht in einem anderen weiterleben würde.
    Ein blinder Passagier drosch mir ein Eisenrohr gegen die Wirbelsäule. Nein, Moment mal, das Triebwerk explodierte. Nein, in Wirklichkeit waren es die Sprengladungen gewesen, die die Stromlinienverkleidung wegbliesen. Ein System von Rissen unterteilte die Dunkelheit in Quadranten und dehnte sich dann aus, um sie zu verdrängen. Die vier Segmente der Verkleidung blieben achtern zurück, und ich sah mich auf Arbre hinabschauen. Einige Begleiterscheinungen des Gerüttels (Luftwirbelströmung) schwächten sich ab, andere (Brennkammerinstabilität) wurden schlimmer. Verglichen mit dem Rütteln war die Beschleunigung bislang keine große Sache gewesen, doch nun wurde sie etwa eine halbe Minute lang ziemlich intensiv, während das Raketentriebwerk den Brennschluss erreichte. Das erschwerte es einem, die Aussicht zu würdigen. Ein weiterer Knacks der Wirbelsäule verriet mir, dass das Zusatztriebwerk abgefallen war. Ein Glück, dass ich es los war. Nun gab es nur noch mich und das Mannjifiek. Einige Augenblicke gewichtsloses Schweben kamen zu einem entschiedenen Ende, als die Feinsteuerraketen sich einschalteten und die oberste Stufe mit einer Knackigkeit korrekt ausrichteten, die beruhigend war, auch wenn sie dafür sorgte, dass einige meiner inneren Organe den Platz tauschten. Dann ein Gefühl von sich stetig erhöhendem Gewicht, während
das Triebwerk des Mannjifiek sich zu seiner langen Brennphase einschaltete. Allem Anschein nach – der Himmel war schwarz – hatte ich die Atmosphäre verlassen, und das Dach der Laube tat nichts anderes, als mir die Sicht nach vorne zu verstellen. Doch während das Triebwerk des Mannjifiek mich der Umlaufgeschwindigkeit entgegenschob, wuchsen Plasmazungen aus den Dachkanten und umzuckten meine Schultern und Füße nahe genug, um die Sache interessant zu machen. Das war die obere Atmosphäre, die mit solcher Gewalt verdrängt wurde, dass sich Elektronen von Atomen losrissen.
    Kurz nachdem ich an der Startrampe die Große Pille (einen Innentemperaturtransponder) geschluckt und den Anzug angelegt hatte, hatten mich die Avot, die man als Startmannschaft zwangsverpflichtet hatte, wie eine Mumie in Küchenkrepp gewickelt, mich in die Laube gestopft, die Schultern gegen meine Fußsohlen gestemmt und mich mit Paketband zusammengeschnürt. Mit Zollstöcken – Werbegeschenken aus dem örtlichen Großmarkt – hatten sie Messungen vorgenommen. Es waren weitere Klebebandarbeiten gefolgt, bis sie mich zu einem Bündel komprimiert hatten, das den Diagrammen in ihren hastig ausgedruckten, mit ausführlichen handschriftlichen Zusätzen versehenen Dokumenten entsprach. Dann hatten sie sich mit Isolierschaumdosen über mich hergemacht und mich in Position geschäumt, wobei sie darauf geachtet hatten, das Zeug auch zwischen meine Knie und meine Brust, meine Fersen und meinen Hintern, meine Handgelenke und mein Gesicht zu sprühen. Sobald der Schaum fest geworden war, hatte jemand das Plastik von meinem Helmvisier abgezogen, damit ich sehen konnte, mir auf den Helm geklopft und mir ein Teppichmesser in die Skeletthand gedrückt. Die Bedeutung der Messungen wurde in den ersten Minuten der Brennphase der zweiten Stufe deutlich, als ich die Strahlen von weiß glühender Atmosphäre nur wenige Zoll von meinen Füßen entfernt spielen sah. Aber sie verblassten, während wir die Atmosphäre endgültig verließen. Die gesamte Laube schnellte (unter Federdruck) ab und schwebte davon, sodass ich eine Art Kühlerfigur bildete. In diesem Augenblick war ich stark versucht, mich von dem Verpackungsmaterial zu befreien. Aber ich kannte die Geschwindigkeit-versus-Zeit-Kurve dieser Flugbahn auswendig und wusste, dass ich noch weit davon entfernt war, Umlaufgeschwindigkeit erreicht zu haben. Der Geschwindigkeitsgewinn
würde sich größtenteils in der Schlussphase der Verbrennung ergeben, wenn das Mannjifiek drei Viertel oder