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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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der Hand liegen«, sagte Lio, »aber ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Wir dürfen das nicht vermasseln. Für die Raketenabschussvorrichtungen gilt Ähnliches. Sie waren ein militärisches Geheimnis. Es gibt keinen Grund, warum der Sockel – der fast sein gesamtes Wissen über Arbre dem Umstand verdankt, dass die Populärkultur bis in den Weltraum dringt – von ihrer Existenz wissen sollte. Sie wurden eigens so konstruiert, dass sie von oben schwer zu erkennen sind. Aber sobald eine Rakete gestartet wird, wird die Luftüberwachung der Geometer ihre Hitzesignatur registrieren, und sie werden alles darüber wissen. Man muss sie also alle auf einmal oder gar nicht starten. Es gibt ein paar hundert. Sie werden alle innerhalb desselben zehnminütigen Startfensters hochgeschickt werden, das sich heute in drei Tagen ergeben wird. Elf davon werden mit ›Mannjifieks‹ bestückt sein, die die Mitglieder dieser Zelle befördern. Nicht wenige andere werden die Ausrüstungsgegenstände und Verbrauchsgüter transportieren, die wir brauchen.«
    »Und die anderen?«, fragte Sammann.
    Lio sagte nichts, warf mir jedoch einen kurzen Blick zu. Beide dachten wir an die Allestöter. »Attrappen und Stanniolstreifen«, sagte er schließlich.
    »Und was erwartet man von uns, sobald wir oben sind?«, fragte Arsibalt.
    »Dass wir eine Reihe von anderen Nutzlasten zu einem Schubgerüst – ich werde es nicht mit dem anspruchsvollen Namen ›Fahrzeug‹ belegen – zusammenbauen, das uns in eine neue Umlaufbahn befördern wird«, sagte Lio, »eine Umlaufbahn, die uns zu einem Rendezvous mit der Daban Urnud bringt.«
    »Das konnten wir uns schon denken«, sagte Jesry. »Was Fraa Arsibalt eigentlich wissen will, ist …«
    Fraa Osa trat vor und ergriff das Wort, nachdem er Lio mit einem
stummen Blick um Erlaubnis gebeten hatte. Vom Anführer der Thaler hatten wir bislang nicht viel gehört, und so stellten wir uns alle so hin, dass wir ihn sehen konnten. »Die größte Schwierigkeit für Leute wie euch wird nicht die Ausführung der euch gestellten Aufgaben sein, sondern vielmehr die Demütigung und die Unsicherheit, die daraus erwachsen, dass ihr den Gesamtplan nicht kennen dürft. Diese Empfindungen können euch behindern. Ihr müsst euch jetzt schlicht dafür entscheiden, entweder im Bewusstsein dessen weiterzumachen, dass euch der Gesamtplan vielleicht niemals offenbart wird – und, würde er offenbart, vielleicht offenkundige Schwächen aufweist -, oder euch abzuwenden und den Raumanzug, der euch zugeteilt worden ist, jemand anderem zu überlassen.« Und damit trat er zurück. Eine Zeitlang herrschte Schweigen, während wir unsere Entscheidung trafen – falls das der richtige Ausdruck für den Vorgang war, der in unserem Kopf stattfand. Ich verspürte keine der Empfindungen, die mit dem Treffen einer echten Entscheidung einhergehen. Sich in diesem Augenblick von der Gruppe abzusetzen war schlicht undenkbar. Es gab keine Entscheidung zu treffen. Fraa Osa, der sein ganzes Leben damit zugebracht hatte, sich auf solche Situationen vorzubereiten, wusste das natürlich sehr gut. In Wirklichkeit bat er uns nicht, eine Entscheidung zu treffen. Er forderte uns auf ziemlich diplomatische Weise auf, die Klappe zu halten und uns auf die vorliegende Angelegenheit zu konzentrieren.
    Und das taten wir denn auch achtzehn Stunden täglich, bis der Pritschenwagen kam, um uns abzuholen und zum Flugplatz zu bringen. Ein zufälliger Beobachter hätte allerdings den Eindruck gewinnen können, dass wir nur die Hälfte der Zeit arbeiteten und ansonsten Videospiele spielten. Drei der an den Hof angrenzenden Zellen waren mit Synvors ausgestattet worden, die an große Spulo-Panoramabildschirme angeschlossen waren. Mitten zwischen diesen stand ein Stuhl, der mit körperlosen Raumanzugärmeln ausgestattet war. Die Hände in die Ärmel gesteckt, saßen wir abwechselnd auf diesem Stuhl und tasteten nach den Reglern. Auf die Schirme um uns herum wurde eine Simulation dessen projiziert, was wir durch unsere Helmvisiere sehen würden, wenn wir auf einer niedrigen Umlaufbahn durch den Raum schwebten, komplett mit allen möglichen Anzeigen und Indikatoren, die, so versprach man uns, die in den Anzug eingebauten Synvors über das Bild legen würden. Die Regler unter unseren Fingerspitzen ließen sich mit den Feinsteuerraketen
an den Mannjifieks verbinden, sodass wir, sobald wir unsere Umlaufbahn erreicht hatten, herumzischen und bestimmte Aufgaben erfüllen

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