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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Viertel einfahren und den Anschluss an Straße und Schiene herstellen konnten. Das Grundstück war chaotisch, aber allein die Tatsache, dass es riesig und still war, verlieh ihm so etwas wie Würde. Seinen Umriss bildete ein Zaun, der doppelt so hoch war wie ich und aus Wellblechplatten bestand, die im Boden oder Beton verankert, zusammengeschweißt und durch alte ausgediente Eisenbahnschienen gegen den Wind versteift waren, was für einen Windschutz ziemlich übertrieben erschien. Ja, es war so offensichtlich übertrieben, dass Jesry und ich einander in dem Bemühen unterbrachen, der Erste zu sein, der es bemerkte, und in Streit darüber gerieten, was es zu bedeuten hatte. Andere Teile der Eingrenzung bestanden aus den Stahlkästen, die man später im Praxischen Zeitalter zum Transport von Waren auf Schiffen und Zügen benutzte. Einige davon waren mit Dreck gefüllt, andere mit Metallabfällen, die so wirr und unregelmäßig waren, dass sie schon organisch wirkten. Manche waren organisch, weil sie von Schlitzbeeren besiedelt worden waren. An den Rändern des Geländes wucherte einiges an Grünzeug, aber das Zentrum bildete ein Pferch aus festgestampftem Boden.
    Das Hauptgebäude war kaum mehr als ein Dach auf Stelzen, das die letzten zweihundert Fuß des Kanals überspannte. Seine Dachbalken waren übergroß, denn sie trugen einen Laufkran mit einem großen Haken an einer rostigen Kette, deren einzelne Glieder so groß wie mein Kopf waren. Diese Konstruktion hatten wir vom Mynster aus gesehen, jedoch nie weiter darüber nachgedacht. Im rechten Winkel dazu stand eine Halle mit hohem Dach, die durch richtige Wände aus Ziegeln (unten) und Wellblech (oben) umschlossen war. Daran schmiegte sich ganz unten ein Schutzmodul mit allen möglichen anheimelnden Elementen wie einer nachgemachten Holztür und einer ländlichen Wetterfahne, die hier verrückt aussahen. Wir klopften an, warteten, bahnten uns dann einen Weg hinein. Dabei machten wir viel Lärm, nur für den Fall, dass das
hier auch so ein Ort war, an dem Besucher umgebracht wurden. Es war jedoch niemand da.
    Das Modul war ursprünglich als Wohnhaus gedacht gewesen, doch alles darin war so hingebogen worden, dass es als Büro dienen konnte. Die Duschkabine zum Beispiel war durch einen hohen Schrank besetzt, in dem Akten aufbewahrt wurden. Durch ein ausgesägtes Loch in einer Wand waren kleine Rohre zu einem Heißgetränkeautomaten gelegt worden. Im Schlafzimmer hatte man ein freistehendes Urinal aufgestellt. Die einzige Dekoration neben diesen verrückt aussehenden rustikalen Elementen, die mit dem Modul hierhergekommen waren, bestand aus merkwürdig geformten Metallstücken – Maschinenteilen, wie ich erkannte -, von denen manche in traumatischen Ereignissen, die wir uns kaum vorstellen konnten, verbogen oder zerbrochen worden waren.
    Eine Spur öliger Stiefelspuren führte uns zur Hintertür. Die öffnete sich unmittelbar in die höhlenartige Halle. Nachdem wir über die Schwelle getreten waren, blieben wir beide mit hochgezogenen Schultern unmittelbar jenseits davon stehen. Der Raum war zu groß zum Ausleuchten und wurde deshalb hauptsächlich von Tageslicht erhellt, das durchsichtige, von einem diffusen Nimbus umgebene Platten hoch oben in den Wänden hereinließen. Die Wände und Fußböden waren von Alter, erstarrtem Rauch und Öl dunkel geworden. Von Balken über uns baumelten weitere Haken und Ketten herab, die durch das sie umspielende Licht spindeldürr und angefressen aussahen. Der Boden ging an den Rändern in Dunst und Schatten über. In großen Abständen befanden sich darauf hingeduckte Massen, manche nicht größer als ein Mann, andere vom Ausmaß einer Bibliothek. Jede war um einen Hügel aus Metall gebaut: von ferne betrachtet glatt und abgerundet, aus der Nähe dagegen rau, was mich zu der Annahme brachte, dass diese nach einem alten Verfahren gefertigt worden waren, bei dem Mulden in Sand gegraben und mit einem See von geschmolzenem Eisen gefüllt wurden. Wo es darauf ankam, war das raue Eisen abgeschnitten worden und hatte Flächen, Löcher und rechte Winkel aus blankem, grauem Metall hinterlassen: kurze, dicke Füße, mit denen die Gussteile an den Boden geschraubt wurden, oder lange v-förmige Führungsbahnen, auf denen andere Gussteile, von großen Schrauben angetrieben, gleiten konnten. Zusammengedrängt daneben oder darunter kauernd lagen Konstruktionen aus gewundenem
Kupferdraht, voller symmetrischer Strukturen und, wenn sie sich

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