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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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verschwommen.«
    »Nein, mir tut es leid«, sagte sie. »Vielleicht ist das ja die Folge des Traumas.« Sie wirkte ein wenig zittrig, verzog das Gesicht, bekam sich wieder in die Gewalt.
    »Wieso? Was für ein Trauma?«

    »Ihn davonschweben zu sehen. Zu wissen, was mit ihm passiert ist.«
    »Wann habe ich ihn davonschweben sehen?«
    »Tja, nach dem Start der zweihundert Raketen hat er das Bewusstsein nicht wiedererlangt«, sagte Ala leise. »Du hast gesehen, wie er mit einer Nutzlast kollidierte. Er blieb daran haften. Du hast die Entscheidung getroffen, ihm nachzugehen – zu versuchen, ihm zu helfen. Aber das war kitzelig. Der Haken hat nicht gegriffen. Die Zeit wurde dir knapp. Arsibalt kam dir zu Hilfe. Aber dann hat dich um ein Haar der Reaktor gestreift. Jad ist davongetrieben. Wieder in die Atmosphäre eingetreten. Und über Arbre verglüht.«
    »Ja richtig«, sagte ich, »wie hatte ich das nur vergessen können?« Ich sagte das natürlich sarkastisch. Aber ich behielt dabei sehr genau Alas Gesicht im Auge. Meine Lebensumstände in jüngster Vergangenheit waren derart, dass ich Alas Mienenspiel sehr viel genauer zu deuten wusste als irgendetwas anderes in den Fünf Bekannten Kosmen. Sie glaubte – oder besser, sie wusste - , dass das, woran sie mich gerade erinnert hatte, der Wahrheit entsprach.
    Bestimmt gab es unten auf Arbre Aufzeichnungen, die das bewiesen.
    Rhetor: Eine legendäre, in der Folklore mit prokischen Orden in Verbindung gebrachte Gestalt, die angeblich die Macht besaß, durch Manipulation von Erinnerungen und anderen physischen Aufzeichnungen die Vergangenheit zu ändern.
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
    Ich konnte an nichts anderes denken als daran, mich über das Essen herzumachen. Zuerst allerdings musste ich meiner Nacktheit abhelfen. Ala schlüpfte hinaus, als wäre es vollkommen in Ordnung, mich nackt zu sehen, aber unanständig, mit beim Anziehen zuzuschauen. Die arbrische Delegation hatte uns Kullen, Korde und Sphärs mitgebracht. Die vier Geometerrassen waren von den Avot mehr oder weniger fasziniert und bekämen es vielleicht in die falsche Kehle, wenn wir zu verbergen versuchten, was wir waren.
    Sobald ich ordnungsgemäß verhüllt war, half mir das Krankenhauspersonal,
einen Rucksack mit einem Tank voller Arbre-Sauerstoff anzulegen, der mit dem Schlauch unter meiner Nase verbunden war. Dann folgte ich einer Reihe von Piktogrammen bis zu einer Terrasse auf dem Dach des Krankenhauses, wo ich Lio und Jesry bis zu den Ellbogen in ihren Fresskörben vorfand. Fraa Sildanic war ebenfalls da. Mit resignierter und hoffnungsloser Miene ermahnte er mich, nicht zu schnell zu essen, damit mir nicht übel wurde. Ich ignorierte ihn ebenso gründlich, wie meine Fraas es taten. Nach einigen Minuten schaffte ich es tatsächlich, den Blick von meiner Schale zu heben und auf die künstliche Welt um mich herum hinauszuschauen.
    Die vier Kugeln eines jeweiligen Stapels lagen so dicht beieinander, dass sie einander fast berührten, und sie waren in etwa so wie die Waggons eines Passagierzuges durch Portale miteinander verbunden. Wenn die Daban Urnud manövrierte oder beschleunigte, mussten die Portale geschlossen und verriegelt werden, heute aber standen sie offen.
    Die Laterraner lebten in den Kugeln neun bis zwölf. Das Krankenhaus lag in Nummer zehn, nicht weit von dem Portal, das sie mit Nummer elf verband. Die Dachterrasse war wie alle anderen Freiflächen intensiv bebaut. Man hatte ein wenig Raum für Tische und Bänke freigehalten. Deren Platten und Sitzflächen jedoch bestanden aus Glas, unter dem in Schalen Gemüse wuchs. Über uns wölbten sich Spaliere, an denen sich von Trauben grüner Früchte strotzende Reben entlangrankten. Solange man sich auf seine unmittelbare Umgebung konzentrierte, sah das Ganze aus wie ein Garten auf Arbre. Doch weiter weg war alles anders. Das Krankenhaus bestand aus einem halben Dutzend miteinander verzurrter Hausboote. Jedes hatte drei Stockwerke unter und drei über der Wasseroberfläche. Flexible Gangways verbanden sie untereinander und mit benachbarten Hausbooten, die so auf dem Wasser lagen, dass sie einen kreisförmigen Teppich bildeten, der jeden Quadratfuß der Oberfläche zu bedecken schien. Aber weil es sich bei der »Schwerkraft« hier um eine durch Drehung hervorgerufene Fiktion handelte, war die Oberfläche – das, was unser Innenohr oder ein Senkblei als eben bestimmen würde – gekrümmt. Der kreisförmige Teppich aus Booten war somit

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