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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sein Entsetzen und seine Verwirrung deutlich erkennen. Ich zuckte die Achseln, um ihm mitzuteilen, dass er sich in guter Gesellschaft befand.
    Sammann erschien in traditioneller Itakleidung und machte, ein bemerkenswertes Beispiel von Selbstbeherrschung, zuerst die Runde, bedachte jeden von uns mit einem kurzen Schulterdrücken oder -klopfen, ehe er seinen Korb aufriss, der unendlich viel besser und würziger riechende Sachen enthielt als jeder von unseren. Wir ließen ihn essen. Er tat das auf die gleiche ruhige und kontemplative Art, die ich von ihm gewohnt war, seit ich ihm einst auf der Fiale von
Edhar dabei zugesehen hatte, wie er zu Mittag aß. Sein Gesicht verriet keinerlei Neugier, was die Frage anging, warum hier – anstelle einer anderen Zahl – fünf Leute und fünf Körbe waren. Überhaupt war er ganz und gar reserviert und gelassen, was in Verbindung mit seiner förmlichen Itakleidung alle möglichen alten Gewohnheiten und gesellschaftlichen Konventionen wachrief, die längst auf den Grund meines Bewusstseins abgesunken waren.
    »Eben haben wir zum Gedenken an den verstorbenen Fraa Jad und die anderen, die gestorben sind, einen Toast ausgebracht«, sagte ich ihm, als er im Essen innehielt und nach seinem Glas griff. Er nickte kurz, hob das Glas und sagte: »Schön. Auf unsere dahingegangenen Kameraden.« Ja, ich weiß es auch.
    »Bin ich der Einzige, der unter komischen neurologischen Folgeerscheinungen leidet?«, fragte Arsibalt, noch immer ein wenig erschüttert.
    »Du meinst Gehirnschäden?«, fragte Jesry in hilfsbereitem Ton.
    »Das hinge davon ab, ob sie so dauerhaft sind wie das, worunter du leidest«, schoss Arsibalt zurück.
    »Einige von meinen Erinnerungen sind ein bisschen bruchstückhaft«, räumte Lio ein.
    Sammann räusperte sich und funkelte ihn an.
    »Aber je länger ich wach bin, desto mehr Zusammenhänge erschließen sich mir«, fügte Lio hinzu. Sammann konzentrierte sich wieder auf das Essen.
    Jules Verne Durand schaute vorbei, nahm auf, was er vor sich sah, und strahlte. »Ah!«, rief er aus. »Als ich euch fünf im Observatorium ohne Raumanzüge wie gestrandete Fische habe nach Luft schnappen sehen, habe ich schon befürchtet, nie mehr ein Bild wie das hier betrachten zu können.«
    Wir alle prosteten ihm zu und forderten ihn auf, sich zu uns zu setzen.
    »Was ist mit den anderen – ich meine, was ist mit den vier Toten geschehen?«, fragte Jesry. Fünf arbrische Augenpaare richteten sich auf das Gesicht des Laterraners. Aber wenn Jules irgendeine Diskrepanz in den Zahlen auffiel, ließ er sich nichts anmerken. »Das ist zum Verhandlungsthema geworden«, sagte Jules. »Man hat die Leichen der vier Thaler eingefroren. Wie ihr euch leicht vorstellen könnt, gibt es Anhänger des Sockels, die sie als biologische Exemplare sezieren lassen wollen.« Ein Schatten legte sich über sein Gesicht,
und er hielt einige Augenblicke inne. Wir alle wussten, dass er an seine Frau Lise dachte, deren Leichnam bei der Konvox der für biologische Exemplare vorgesehenen Behandlung unterzogen worden war. Nachdem er die Fassung wiedergewonnen hatte, fuhr er fort: »Die Diplomaten von Arbre haben in schärfstem Ton vorgetragen, dass dies inakzeptabel sei – dass die sterblichen Überreste als heilig zu behandeln seien und unversehrt der Delegation übergeben werden müssten, der ihr jetzt angehört. Das wird bei der Eröffnungszeremonie geschehen, die in ungefähr zwei Stunden in Kugel vier stattfinden wird.« Der Sockel weiß noch nichts von den in euren Körpern deponierten Allestötern, und ich habe nichts verraten – aber es macht mich wirklich nervös.
    Hatte die Delegation noch mehr Allestöter mit heraufgebracht? Waren inzwischen Hunderte oder Tausende davon in der Daban Urnud verteilt? Gab es in der Delegation einige, die die Macht hatten, sie auszulösen? Ich »erinnerte« mich – wenn dies das richtige Wort für etwas war, das sich nicht in diesem Kosmos abgespielt hatte – an das silberne Kästchen in Fraa Jads Hand. Der Detonator. Wer von den vier Dutzend trug einen? Oder genauer, wer würde den Auslöser drücken? Für eine bestimmte Denkweise ergäbe das ein akzeptables Geschäft. Auf Kosten von vier Dutzend arbrischen Leben würde die Daban Urnud komplett entvölkert oder zumindest so weit lahmgelegt werden, dass den Überlebenden keine andere Wahl bliebe, als bedingungslos zu kapitulieren. Viel billiger, als mit ihnen Krieg zu führen.
    Aus mehr als einem Grund hatte ich plötzlich

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