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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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wie eine Schüssel nach innen gewölbt. Unser Innenohr sagte uns, dass wir uns an deren tiefstem Punkt befanden. Schauten wir über sie hinweg zur anderen Seite,
die um einiges weniger als eine Meile entfernt lag, lieferten unsere Augen uns die beunruhigende Mitteilung, dass das Wasser über uns lag. Würden wir die Strecke jedoch mit verbundenen Augen zurücklegen, würde es sich anfühlen, als gingen wir über ebenen Boden – wir hätten nicht das Gefühl, bergauf zu steigen.
    Von der Innenfläche der Kugel lag etwa die Hälfte unter Wasser. Der Rest bildete den »Himmel«. Dieser war blau und hatte eine Sonne. Das Blau war aufgemalt, doch es war möglich, das zu vergessen, sofern man nicht auf die Portale zu den Kugeln elf und neun schaute, die wie sehr merkwürdige astronomische Körper am Firmament schwebten und über Sessellifte mit darunter liegenden Hausbooten verbunden waren. Die Sonne war ein Bündel optischer Fasern, die aufbereitetes und gefiltertes Licht heranführten, das von Parabolhörnern auf der Außenseite des Ikosaeders aufgefangen worden war. Die Fasern waren ortsfest an der Decke der Kugel fixiert, doch indem man das Licht zu verschiedenen Tageszeiten in unterschiedliche Fasern leitete, schuf man die Illusion, dass die Sonne sich über den Himmel bewegte. Nachts wurde es dunkel, doch führten, wie Jules erklärt hatte, feste Faserrohrverbindungen zu Pflanzenzuchteinrichtungen in den Kellern vieler Hausboote, damit die Pflanzen rund um die Uhr wachsen konnten. Das System war so produktiv, dass die Geometer in der Lage waren, eine Population, die der Einwohnerschaft einer mäßig bevölkerten Stadt entsprach, einzig und allein mit dem zu ernähren, was in der Stadt selbst produziert wurde.
    In gewisser Weise war es gut, dass der Blick vom Krankenhausdach so viel Bemerkenswertes bot, das man anschauen und worüber man reden konnte, denn sonst wäre das Gespräch auf geradezu lähmende Weise mühsam gewesen. Lio und Jesry zeigten ein starres Gesicht. Gewiss, sie hatten breit gelächelt, als sie mich gesehen hatten. Und ich hätte nicht glücklicher sein können, sie zu sehen. Diese Gefühle hatten wir sofort und ohne Worte geteilt. Doch dann hatten sich ihre Gesichter wieder verschlossen und es mir praktisch verboten, irgendetwas laut auszusprechen.
    Ohnehin aßen wir zu gierig, um viel zu reden. In Abständen kamen und gingen Fraa Sildanic und ein anderer arbrischer Mediziner. Und ich wollte zwar nicht schlecht von unseren laterranischen Gastgebern denken, aber ich wusste nicht, ob die Terrasse vielleicht mit Abhörvorrichtungen versehen war. Die Hälfte der Laterraner
waren für den Sockel. Und vielleicht gefiel selbst den Parteigängern des Fulcrums die Rolle, die wir beim Angriff auf die Daban Urnud gespielt hatten, nicht sonderlich. Manche hatten vielleicht Freunde oder Verwandte, die von den Thalern getötet worden waren. In einem beiläufigen Gespräch preiszugeben, dass ein Tausender eine Bresche in den Schiffsrumpf gerissen hatte und dann verschwunden war, wäre das Schlimmste, was im Augenblick passieren konnte. Sobald ich meinen Hunger ein wenig gestillt hatte, machte ich mir darum geradezu körperlich bemerkbare Sorgen.
    Als Arsibalt auftauchte und wie ein Schaufelbagger seinen Fresskorb ansteuerte, wartete ich, bis er sich den Mund vollgestopft hatte, ehe ich mein Glas hob und sagte: »Auf Fraa Jad. Während wir der vier Thaler gedenken, die gestorben sind, wollen wir auch denjenigen nicht vergessen, der in den ersten zehn Minuten der Mission, noch bevor er die Atmosphäre von Arbre verlassen hatte, sein Leben geopfert hat.«
    »Auf den verstorbenen Fraa Jad«, echote Jesry so rasch und energisch, dass ich wusste, er musste in ähnlichen Bahnen denken.
    »Nie werde ich fähig sein, die Erinnerung an seinen flammenden Sturz in die Atmosphäre auszulöschen«, fügte Lio mit so offenkundig falscher Aufrichtigkeit hinzu, dass ich mir fast mein Getränk aus der Nase schnaubte. Ich behielt Arsibalt im Blick, der zu kauen aufgehört hatte, uns mit hervortretenden Augen anstarrte und offenbar dahinterzukommen suchte, ob es sich um eine Art von äußerst finsterem und kompliziertem Humor handelte. Ich fing seinen Blick auf und schaute nach oben: ein altes Signal aus Edhar, wo wir durch rasches Aufheben des Blicks zum Fenster des Regelwarts zu sagen pflegten: Halt die Klappe und spiel mit. Er nickte und ließ mich dadurch wissen, dass er mich verstanden hatte, aber sein Gesichtsausdruck ließ

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