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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Dezenariermath. »Burgherfrauen, die etwas zu fühlen versuchen«, war eine besonders unbarmherzige Beschreibung, die ich einmal von einem alten Fraa gehört hatte. Genauso oft waren sie jünger, unverheiratet und auf der Suche nach der letzten Schicht Glanz und
Prestige, die sie brauchten, um in die Erwachsenenwelt zu gehen und sich einen Partner zu suchen. Manche studierten bei Halikaarniern und wurden Praxikerinnen oder Handwerkerinnen. Andere studierten bei Prokiern; die entschieden sich dann meistens für die Juristerei, die Medien oder gingen in die Politik. Jesrys Mutter war unmittelbar nach ihrem zwanzigsten Geburtstag für zwei Jahre in den Math gekommen. Nicht lange, nachdem sie ihn wieder verlassen hatte, hatte sie Jesrys Vater geheiratet, einen etwas älteren Mann, der drei Jahre hier verbracht und das Gelernte dazu verwendet hatte, Karriere in einem Beruf zu machen, den er jetzt ausübte, was auch immer es war.
    Ebene: (1) In der diaxischen Theorik eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit mit einer flachen Metrik in einem dreidimensionalen Raum. (2) Eine analoge Mannigfaltigkeit in einem höherdimensionalen Raum. (3) Ein flaches, freies Areal in der Periklyne des alten Ethras, ursprünglich von Theorikern dazu benutzt, Beweise in den Staub zu kratzen, später auch als Ort, an dem Dialoge aller Art geführt wurden. (4) In der verbalen Form (ebnen) das restlose Zerstören des Standpunkts eines Gegners im Verlauf eines Dialogs.
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
    In der Morgendämmerung des zehnten Tages der Apert entdeckte Suur Randa, eine der Imkerinnen, dass sich in der Nacht ein paar Grobiane Zutritt zum Bienenhaus verschafft, Geschirr zerschlagen und sich mit zwei Kisten Met wieder aus dem Staub gemacht hatten. Etwas so Aufregendes war seit Ewigkeiten nicht passiert. Als ich zum morgendlichen Fastenbrechen ins Refektorium kam, sprachen alle darüber. Als ich es gegen sieben Uhr wieder verließ, sprachen sie immer noch darüber. Ich sollte um neun am Jahrestor sein. Am einfachsten wäre ich dorthin gekommen, wenn ich durch das Jahrzehnttor extramuros, dann durch die Burgherstadt in Richtung Norden und von dort auf das Tor zugegangen wäre. Doch als ich am Vortag über Tulia nachgedacht hatte, war mir die Idee gekommen, mich durch unser unteres Labyrinth dorthin zu begeben
– und die Schritte nachzuvollziehen, die sie im Alter von sechs Jahren gemacht hatte. Angeblich hatte sie es in einem halben Tag durchquert. Ich hoffte, in meinem Alter in einer Stunde durchzukommen, sah aber sicherheitshalber zwei Stunden vor. Schließlich brauchte ich anderthalb Stunden.
    Als die Uhr neun schlug, stand ich, formell gewickelt und mit Kapuze versehen, am Fuß der Brücke zum Jahrestor, das in seiner von Zinnen gekrönten Bastion vor mir aufragte. Brücke und Tor waren von ähnlicher Bauart wie im Dezenariermath, nur doppelt so groß und viel üppiger dekoriert. Am ersten Tag der Apert hatten sich auf dem Platz, den ich jetzt durch das Jahrestor sehen konnte, vierhundert Menschen gedrängt und gejubelt, als ihre Freunde und Familienangehörigen bei Sonnenaufgang herausgeströmt kamen, um ihr Jahr in Abgeschiedenheit zu beenden.
    An diesem Morgen bestand die Touristengruppe aus etwa zwei Dutzend Menschen. Ein drittes waren uniformierte Zehnjährige aus einer bazisch-orthodoxen Suvin, jedenfalls schloss ich das aus der Tatsache, dass ihre Lehrerin Nonnentracht trug. Die anderen schienen eine typische Mischung aus Burghern, Handwerkern und Dards zu sein. Letztere konnte man schon von ferne erkennen. Sie waren riesengroß. Manche Handwerker und Burgher waren auch sehr groß, aber sie trugen Kleider, die das kaschieren sollten. Die aktuelle Dardmode umfasste ein Oberteil (glänzend mit Zahlen auf dem Rücken), das einem Sporttrikot nachempfunden war, allerdings übergroß, wodurch die Schulternähte ungefähr an den Ellbogen hingen, und extrem lang, sodass es bis aufs Knie fiel. Die Hosen waren zu lang für Shorts und zu kurz für lange Hosen – sie hingen eine Handbreit unter dem Oberteil, entblößten aber immer noch ein paar Zoll stämmiger Waden, die aus riesigen, dick gepolsterten Schuhen ragten. Als Kopfbedeckung diente ihnen ein mit Getränkelogos geschmückter Burnus, dessen lose Enden ihnen über den Rücken herabhingen, und eine darüber gezogene dunkle Sonnenbrille, die nie abgesetzt wurde, nicht einmal im Haus.
    Es war aber nicht nur die Kleidung, durch die sich die Dards von den anderen unterschieden. Sie

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