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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hatten auch eine besondere Art zu gehen (ein rollender, schlendernder Gang) und zu stehen (eine übertrieben lässige Pose, die mir irgendwie feindselig vorkam). So konnte ich sogar aus einiger Entfernung sehen, dass ich an diesem Morgen vier Dards in meiner Gruppe hatte. Das beunruhigte mich
nicht im Geringsten, da es während der vergangenen neun Tage bei den Führungen keine ernsthaften Störungen gegeben hatte. Fraa Delrakhones war zu dem Schluss gekommen, dass die Dards dieses Zeitalters einer harmlosen Ikonographie anhingen. Sie waren nicht halb so bedrohlich wie ihre Posen.
    Ich ging zurück auf den Scheitelpunkt der Brücke, um ein wenig an Höhe zu gewinnen. Als die Gruppe sich unterhalb von mir formiert hatte, begrüßte ich sie und stellte mich vor. Die erste, sehr ordentliche Reihe bildeten die Suvinkinder. Die Dards standen, um ihre außerordentliche Lässigkeit zu betonen, etwas abseits hinten beisammen und tippten auf ihren Nicknacks herum oder saugten an eimergroßen Behältnissen mit Zuckerwasser. Zwei Nachzügler hasteten über den Platz, und so ging ich erst einmal gemächlich los, damit sie aufschließen konnten.
    Ich hatte gelernt, hinsichtlich der Aufmerksamkeitsspanne keine allzu großen Erwartungen zu hegen, und so führte ich die Gruppe, nachdem ich auf den Seitenbaumgarten und die Strüppe diesseits des Baches hingewiesen hatte, über die Brücke mitten in den Unariermath hinein. Wir gingen um eine keilförmige Platte aus rotem Stein herum, in die die Namen der Fraas und Suurs eingemeißelt waren, deren Überreste darunter lagen. Unser Grundsatz war, nicht darüber zu sprechen, es sei denn, jemand fragte danach. Heute tat das niemand, was uns einiges an Peinlichkeit ersparte.
    Die Dritte Verheerung hatte mit einer wochenlangen Belagerung des Konzents begonnen. Die Mauern waren viel zu lang, um von so wenigen verteidigt zu werden, und so hatten die Zehner und Hunderter am dritten Tag die Regel gebrochen und sich in den Unariermath zurückgezogen, der etwas leichter zu verteidigen war, weil er einen geringeren Umfang und außerdem einige Wassersperren hatte. Die Tausender waren auf ihrer Klippe natürlich in Sicherheit.
    Als die Belagerung in die dritte Woche ging, war offensichtlich geworden, dass die Säkulare Macht nicht die Absicht hatte, ihnen zu Hilfe zu kommen. Eines Tages versammelten sich vor Morgengrauen die meisten Avot hinter dem Jahrestor, stießen es auf, jagten als fliegender Keil über den Platz und stürmten zwischen den überraschten Belagerern hindurch in die Stadt. Eine Stunde lang plünderten sie die Stadt und die Nachschubdepots der Belagerer, wobei sie Medikamente, Vitamine, Munition und alles das mitnahmen, was sie an bestimmten Chemikalien und Mineralien innerhalb
des Konzents nicht bekommen konnten. Dann taten sie etwas, was für die Angreifer noch erstaunlicher war, statt nämlich wegzulaufen, bildeten sie erneut einen – diesmal viel kleineren – Keil, kämpften sich durch die Menge der Belagerer auf dem Platz und stürmten durchs Tor zurück. Sie blieben erst stehen, nachdem sie die Brücke überquert hatten, die unmittelbar danach in die Luft gesprengt wurde. Sie ließen die erbeuteten Sachen einfach fallen und brachen zusammen. Fünfhundert waren hinausgestürmt. Dreihundert waren zurückgekommen. Von diesen erlagen zweihundert an Ort und Stelle den Verletzungen, die sie sich während des Einsatzes zugezogen hatten. Dieser Granitkeil war ihr Grabhügel. Die Sachen, die sie zusammengesucht hatten, wurden zu den Tausendern hinaufgeschickt. Tags darauf wurde der übrige Konzent eingenommen. Die Tausender lebten die nächsten siebzig Jahre allein und unberührt auf ihrer Klippe. Außer unserem hatten auf der ganzen Welt nur zwei weitere Millenariermathe die Dritte Verheerung unversehrt und ohne geplündert zu werden überstanden. Obwohl es in vielen Fällen genügend Warnhinweise gegeben hatte, sodass die Avot in der Lage gewesen wären, fortzulaufen, an Büchern mitzunehmen, was sie tragen konnten, und für die nächsten Jahrzehnte an entlegenen Orten zu leben.
    Das Keildenkmal war nicht nach außen auf die Stadt, sondern auf die Uhr ausgerichtet. Damit sollte betont werden, dass die darunter Begrabenen zurückgekommen waren.
    Fünfzig Schritte von seinem höchsten Punkt entfernt lag der Eingang zum Hyläischen Weg. Nach dem Mynster war er das hervorstechende architektonische Merkmal des Konzents. Der Stil dieser Gebäude war eher bazisch als mathisch – weniger

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