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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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keinerlei Anhaltspunkte.
    »Was meinst denn du, was bei dir los ist, Evie?«, fragte die Ärztin schließlich, worauf Evie mit der Idee herausrückte, dass ihr Gehirn irgendwie komisch sei.
    »In welcher Beziehung komisch?«
    Evie, die mittlerweile mehr über das menschliche Gehirn wusste als die meisten Kinder, sagte: »Die beiden Hälften – die Hemisphären, wissen Sie? –, es ist, als wären sie nicht richtig miteinander verbunden.«
    Dr. Prentice schürzte die Lippen und blickte auf ihren Schoß, dann hob sie den Kopf wieder und handelte mit großer Klarheit und sehr viel Taktgefühl die Anomalien ab, die Evies Fall präsentiere. Sie sprach die Empfehlung – die dringende Empfehlung – aus, Evie zusätzlich zu medizinischen Untersuchungen und Nachforschungen einer »psychiatrischen Begutachtung« zu unterziehen.
    Das alles spielte sich zu Weihnachten ab, als ich die verlassenen Straßen der Innenstadt durchstreifte. Sie schenkten ihr einen Computer und wiesen sie an, nicht zu viel Zeit damit zu verbringen, sie ließen Knallbonbons platzen und umarmten sie, wobei sie einander gewissenhaft abwechselten.
    Ich habe den Verdacht, dass Aileen im Anschluss daran Seán schließlich mit all den Dingen konfrontierte, die sie schon seit Jahren gewusst hatte, ohne es sich selbst einzugestehen. Ich vermute, dass sie ihn hinauswarf. Weil sie begriff, dass die Lügen, die sie einander erzählten, Evie um den Verstand brachten.
    Vielleicht warf er aber auch sich selbst hinaus, mehr oder weniger aus demselben Grund.
    Es lässt sich nicht genau feststellen. Seán erzählt die Geschichte jedes Mal anders, und er glaubt sie jedes Mal anders. Eines jedoch scheint festzustehen: Zu einer Zeit, da es dringend erforderlich war, Evie zuliebe zusammenzubleiben, war es ebenso unerlässlich, dass sie sich Evie zuliebe trennten.
    In den letzten Märztagen saßen sie in einem Zimmer voll schauderhafter Porzellanfiguren und diskutierten über ihre Tochter mit einer lemurenartigen Frau – riesige Augen und flinke kleine Hände. Evie hatte sie in den beiden vorhergegangenen Monaten unter erheblichen Kosten aufgesucht. Die Frau schaute sie an, und ihr Kopf zuckte zur Seite.
    »Also. Dann wollen wir jetzt mal über Sie reden, in Ordnung?«
    Nicht in Ordnung.
    Und irgendwann in der darauf folgenden Woche verließ Seán Vallely sein Haus ohne alles, sogar ohne Jackett, und fuhr mitten in der Nacht bis vor meine Tür.
    Es war eine Nacht mitten in der Woche: eine ganz normale Nacht ohne ihn. Es mochte zwei Uhr morgens gewesen sein. Ich wachte vom Klang der Türglocke und vom Klappern des Briefkastenschlitzes auf. Seán kauerte davor und sagte meinen Namen, leise, um die Nachbarn nicht zu wecken.
    Ich war selbst noch nicht ganz wach. Ich glaubte, jemand sei gestorben. Dann fiel mir ein, dass Joan schon tot war. Ich hatte niemanden mehr, außer Fiona. Dann war es also meine Schwester – obwohl mir das höchst unwahrscheinlich vorkam: Irgendwie war Fiona nicht der Typ, der starb. Ich zog die Tür auf, und draußen im Wetter stand Seán. Und meine erste Frage lautete: »Ist sie tot?«
    »Lass mich bitte rein, ja?«
    »Oh, entschuldige.«
    Er trat in die Tür – nur einen Schritt weit –, dann überquerte er die Schwelle und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sein ganzes Gesicht war nass, und als ich ihn küsste, schmeckte er nach Regen.
     
    Einmal sprach ich es Seán gegenüber aus. Ich sagte, wenn es Evie nicht gegeben hätte, wären wir nicht zusammen – und er sah mich an, als hätte ich Gott gelästert.
    »Sei nicht albern«, sagte er.
    Seiner Ansicht nach gibt es keine Ursache: Er war in meinem Leben aufgetaucht, als hätte ihn eine Meeresdünung mitgerissen und angeschwemmt.
    In dem Fall ähnelt Evies Zimmer dem Zustand nach der Flut: schmutzige Federn, Papierfetzen, endlose Mengen unbestimmbarer Plastikteile, einige davon ziemlich teuer.
    »Weißt du eigentlich, was diese beschissenen Dinger kosten?«, fragt Seán, als er den zusammengepressten Siff des Staubsaugerbeutels nach einem ihrer Nintendospiele durchwühlt.
    Meine Sachen dagegen spielen keine Rolle. Eine Chanel-Puderdose, die über den Fußboden schlittert, ein Handy, das von der Sofalehne geschubst wird, sodass der Akku seitdem verrücktspielt.
    »Gottogott«, sagt Evie.
    Sie sagt nicht: »Tut mir leid«, das wäre zu persönlich.
    Evie war schon immer eine kleine Walze, ein Trampeltier. Ihre Ellbogen befinden sich dicht an ihrem Unterbewusstsein. Einmal wollte man sie

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