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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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Augen an.
    »Beachte mich gar nicht!«, sagte ich und zwängte mich durch das Zimmer, um mir, was immer es war, das ich benötigte, aus dem Badezimmerschrank zu holen.
    Im Herbst schien Evie immer runder und immer dicker zu werden, danach kam das verblüffenden Ploink-Ploink all des zusätzlichen Fleisches, das sich zu Taille, Hüften und Brüsten formte – obwohl ich mich daran erinnern kann, dass Brüste sich in diesem Alter nicht wie Fett anfühlen, sondern eher wie weich geklopfte Knorpel. Aber wie mir dort im Bad auffiel, sehen sie herzzerreißend schlicht aus.
    Es gibt nichts Schlimmeres, als fast zwölf zu sein.
    Evie befindet sich genau an diesem Punkt. Ihr Körper befindet sich genau an dem Punkt, wo es unrecht ist, sie auch nur anzusehen, unrecht, über ihre Blöße nachzudenken, wo es kriminell wäre, sie zu fotografieren. Ihr Körper wird ihr Eigentum. Ihr Körper wird einsam. Ihr Vater, der sie immer gebadet und abgetrocknet hat, liegt jetzt ausgestreckt im Zimmer gegenüber und starrt an die Decke.
    »Hast du dich abgespült, Evie? Du musst dich abspülen, bis du es quietschen hörst.«
    Als ich aus dem Badezimmer kam, hatte er das Bett verlassen und stand im Türrahmen. Ich hob die Hände zu einem angedeuteten Achselzucken – denn auch dies war normal –, und er nickte und wandte sich ab.
    Und mit einem Mal löst Evie heftige Emotionen in mir aus. Ich möchte ihn bei den Schultern fassen und ihm erklären, dass auch meine Eifersucht eine Art Liebe ist. Denn als ich in ihrem Alter war, saß mein Vater in seinem Hospizbett und genoss es, dass von nun an alle Frauen gleichermaßen namenlos für ihn waren.
    »Hallo, meine Schätzchen, welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen?«
    Ich möchte ihm sagen, dass Evie von Glück reden kann, ihn zu haben, dass er, Seán, der Hort ihres Glückes ist. Denn nach Miles’ Tod war nichts mehr in Ordnung, wenn wir es nicht in Ordnung brachten; aller Segen, alle Fülle, alle unerwarteten Wonnen entsprangen seiner Liebe – so erbärmlich und so unermesslich sie zuweilen war. Nach Miles’ Tod war alles harte Arbeit: Conor zu heiraten, Shay zu heiraten – seine Töchter bekamen nichts geschenkt.
    An jenem Abend weinte ich. Ich weiß nicht, ob Evie mich hörte; die fremde Frau, die in diesem fremden Haus neben ihrem Vater weinte. Das meiste davon erstickte ich im Kopfkissen. Seáns Hand strich mir über den Rücken. Ich sagte: »Tut mir leid, es geht gleich wieder. Tut mir leid.«
    Zum Frühstück war sie wieder ein übergroßes Kind, dessen weißer Hintern aus ihrem rosa Pyjama hing. Sie pickte die Nüsse aus ihrem Müsli und türmte sie neben der Schale auf dem Tisch zu einem kleinen Häufchen auf.
    Seán sagte: »Iss dein Frühstück, Evie.«
    Ich sagte: »Möchtest du ein paar Eier?«
    Und Evie sagte: »Ich hasse Eier.«
     
    Und doch wären wir ohne Evie nicht hier. Davon bin ich überzeugt.
    Im Obergeschoss seines eigenen Hauses hatte ich ihren Vater geküsst, und Evie hatte die Arme gehoben, war mit wedelnden Händen auf uns zugerannt und hatte gerufen: »Frohes neues Jahr, Papa!«, und Seán hatte sich hinabgebeugt, um auch sie zu küssen.
    Soweit es Seán betraf, war an jenem Tag nichts geschehen. Nur nichts komplizieren, und du gewinnst, sagte er gern, und falls du nicht gewinnst, hast du’s wenigstens einfach. Aber irgendwann nach jenem Kuss, zwischen einem Hotelnachmittag und dem nächsten, begann Evie zu verschwinden.
    Schwer zu sagen, wie ein so dauerhaft behütetes Kind sich auf so etwas verstand. Beim ersten Mal fiel es ihnen lange Zeit überhaupt nicht auf; es dämmerte ihnen erst allmählich. Evie war einfach nicht dort, wo sie sein sollte. Sie schien sich auf dem Weg die Treppe hoch zu verlaufen. Sie erschien nicht zu den Mahlzeiten, dann wurde sie in ihrem Schlafzimmer, im Au-Pair-Zimmer oder ohne Mantel draußen im Garten aufgefunden. Etwa zu der Zeit, als meine Mutter starb, kehrte sie eines Tages nicht von Megans Haus zurück. Es lag etwa dreihundert Meter weiter an einer Landstraße, ein Fußweg, den selbst Evie allein unternehmen durfte.
    »Wann ist sie losgegangen?«, sagte Aileen am Telefon zu Fiona. Zwei Familien strömten aus ihren jeweiligen Häusern, stiegen in vier verschiedene Autos und schossen in scharfem Tempo im Rückwärtsgang aus ihren Zufahrten. Sie fanden sie fast augenblicklich. Evie stand am Straßenrand wie an einer imaginären Bushaltestelle und hatte nicht das geringste Gespür dafür, dass ihr Fußweg unterbrochen

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