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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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Griffith Show, oder?« Ich nickte. Das war vertrautes Terrain; ich konnte ganze Dialogszenen zwischen Andy und Barney rezitieren. »Dann erinnern Sie sich auch an Ernest T. Bass, den Hinterwäldler, der immer Steine durchs Gefängnisfenster schmeißt? Wild und verrückt, aber im Grunde seines Herzens nicht böse. Lester Ballard ist so ähnlich, nur um Klassen besser. Ich weiß, es klingt dumm, einen nekrophilen Mörder mit einem debilen Fenstereinwerfer zu vergleichen, aber lesen Sie Child of God, und Sie werden verstehen, was ich meine.«
    Ich notierte mir den Titel auf meiner Schreibtischunterlage. »Ich sehe, Sie haben noch andere leichte Lektüre«, sagte ich und zeigte auf das Knochenkundebuch. »Haben Sie Angst, ich könnte bei der nächsten Klausur eine Fangfrage stellen?«
    »Nein.« Sie lachte. »Aber wenn ich mich für etwas interessiere, dann übertreibe ich es gern und stürze mich kopfüber rein. Ich wollte eigentlich fragen, ob Sie es mir signieren?«
    »Klar«, sagte ich. »Warum stellen Sie währenddessen nicht Ihre Aktentasche ab?«
    Doch es war nicht ihre Aktentasche, es war meine – die ich stehen gelassen hatte, als ich am Morgen in der Vorlesung zusammengebrochen war. Ich lief rot an vor Peinlichkeit.
    »Die … haben Sie heute vergessen, Dr. B.« Sie öffnete die Tasche und enthüllte die beiden Becken, mit Hilfe derer ich den Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Skelett erklärt hatte.
    »Sie haben recht, und bis jetzt habe ich sie nicht einmal vermisst. Vielen Dank.«
    »Gerne.«
    Es gab eine lange, unbehagliche Pause, bevor sie noch etwas sagte. »Kann ich Sie hierzu noch etwas fragen?« Sie hielt das weibliche Becken hoch, das immer noch mit rotem Dentalwachs zusammengeklebt war. »Sie sagten, es sei anhand der Knochen möglich zu bestimmen, ob eine Frau ein Kind geboren hat. Können Sie mir zeigen, wie?«
    Ich nahm die Knochen. »Diese Frau war Mitte vierzig, als sie starb. Das kann man anhand der Abnutzung der Schambeinfuge bestimmen, dem Gelenk, wo die beiden Schambeine aufeinandertreffen.« Ich löste die Schambeine von den Hüftknochen und pulte das Wachs ab. »Sie sehen, dass der Knochen hier an der Gelenkfläche schon ein wenig verwittert und porös aussieht?« Ich fuhr mit dem Zeigefinger über die raue Oberfläche, und sie tat es mir nach. Unsere Finger streiften einander, und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug.
    Bevor ich weitersprach, schluckte ich hart. Ich spürte, dass ich ins Stottern geriet, und hatte alle Mühe, gegen die Panik anzukämpfen, die in meiner Brust aufstieg. »Aber hier ist auch eine V… V… V… Verletzung«, sagte ich, »von der Geburt.« Ich stotterte nicht oft – nicht mehr, seit meine Mutter mich als Kind zu einer Logopädin gebracht hatte –, aber wenn ich nervös war, konnte es sich heranschleichen und mich an der Kehle packen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal vor Nervosität so gebibbert hatte. Sarah beugte sich vor, um noch genauer hinschauen zu können, und fasste meine Hände, um die Knochen ruhig zu halten und dicht vor ihre Augen zu bringen. Ich spürte ihren Atem auf meinen Fingerspitzen. Es war die intimste Berührung seit langem. »Diese Furchen hier und hier«, sagte ich, »nennt man G… G… G… Geburts-G… G… G… Gräben. Während des Geburtsvorgangs passiert es manchmal, dass die Ligamente anfangen, sich von den Knochen zu lösen. Das kann zu Blutungen und Infektionen führen, die diese winzigen Furchen in die beschädigten Bereiche des Knochens graben. Wie ich Kriminalbeamten immer gerne sage, Fleisch vergisst, aber Knochen erinnern sich.«
    Genau wie das Herz. Ich holte tief Luft. »Meine Frau hatte schreckliche Probleme während der Schwangerschaft«, sagte ich. »Drei Fehlgeburten, und dann eine ausgetragene Schwangerschaft, die mit schwierigen Wehen und einer schwierigen Geburt endete. Man hätte das Kind per Kaiserschnitt holen sollen, aber sie wollte unbedingt eine natürliche Geburt. Es hat sie beinahe umgebracht.« Sarah wirkte betroffen. »Zwei weitere Fehlgeburten und zwanzig Jahre später ist sie an Gebärmutterkrebs gestorben. Das war vor zwei Jahren. Der Arzt sagt, es gebe da keinen Zusammenhang, aber ich kann nicht anders, als doch einen zu vermuten. Ich kann nicht anders, als zu denken, wir hätten nicht versuchen sollen, noch weitere Kinder zu bekommen. Kann nicht anders, als mir die Schuld an ihrem Tod zu geben. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich kann

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