Anatomie
Büro auf und ab, als wir kamen. »Wo zum Teufel waren Sie? Sie hätten schon vor einer Stunde hier sein sollen.«
Ich schwieg. Williams räusperte sich. »Meine Schuld, Sheriff. Ich hab gehalten, um unten am Fluss zu pinkeln. Bin auf einem nassen Stein ausgerutscht und böse gestürzt. War wohl länger bewusstlos, als ich dachte.«
Kitchings musterte Williams, der sich den Kopf rieb und das Gesicht verzog, dann wandte er sich mir zu. »Er war tatsächlich ’ne ganze Weile weg«, sagte ich. »Und ich bin wohl eingeschlafen. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass er mit dem Gänseei an der Birne in den Wagen stieg.« Ich verstand nicht recht, warum ich Williams deckte; bis es mir aufging, dass es wohl eher O’Conner war, den ich nicht auffliegen lassen wollte. Obwohl ich auch das nicht verstand. Andererseits deckte ich wahrscheinlich in Wirklichkeit mich selbst, irgendwie. Aber was hatte ich getan, oder was hatte ich vor und warum?
Kitchings war sauer. »Jedes Mal, wenn ich ihn losschicke, um Sie zu holen, läuft was schief. Ich weiß nicht, wer von Ihnen beiden dafür verantwortlich ist, aber ich will verdammt sein, wenn ich mir das noch einmal mit ansehe.«
»Sheriff, in dem Augenblick, in dem wir diesen Fall geklärt haben, werde ich glücklich für immer nach Knoxville zurückkehren.«
»Ja. Nun. Was haben Sie bis jetzt?«
»Im Großen und Ganzen ist es das, was ich mir von Anfang an dachte: eine weiße Frau, zwanzig bis dreiundzwanzig Jahre alt, ungewöhnlich groß – irgendwas zwischen einem Meter achtundsiebzig und einem Meter dreiundachtzig. Blondes Haar, ziemlich lang. Keine Zahnfüllungen oder ähnliches; kleine, ungefüllte Karieslöcher in zwei Backenzähnen und einem Eckzahn. Das einzige Anzeichen für Knochenverletzungen war eine Mehrfachfraktur des Zungenbeins.«
»Was für eines Beins?«
»Des Zungenbeins.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass sie erwürgt wurde. Das Zungenbein ist ein kleiner, gebogener Knochen direkt über dem Adamsapfel.« Ich zeigte darauf, und der Sheriff und sein Deputy schoben ihr Zungenbein von einer Seite zur anderen. »Ihres war zertrümmert. Ein eindeutiges Zeichen für manuelle Strangulation.«
Er sah finster drein. »Sonst noch etwas Ungewöhnliches?«
»Nun, um den Hals trug sie eine Erkennungsmarke der US-Armee.« Ich machte eine Pause, um ihm die Gelegenheit zu geben, diese Information zu verdauen. »Die habe ich zu Art Bohanan gebracht, dem Fingerabdruck-Guru bei der Polizei von Knoxville, in der Hoffnung, er könnte einen Fingerabdruck der Person entdecken, die ihr die Hände um den Hals gelegt hatte.«
Kitchings schnappte nach Luft und beugte sich mit flammenden Augen zu mir vor. »Und?«
»Nichts.«
Er atmete aus. »Mist. Aber man konnte die Marke noch lesen?« Ich nickte. »Was stand drauf?«
Jetzt war es an mir, tief Luft zu holen. »Lt. Thomas J. O’Conner.«
Kitchings wandte sich ab. »Der verfluchte Hurensohn«, flüsterte er. »Dem nagel ich doch seinen erbärmlichen Arsch ans Kreuz.«
Ich wartete. »Sheriff?« Er drehte sich zu mir um. »Irgendeine Idee, wer die Frau war?«
Aus dem Augenwinkel nahm ich Williams wahr, reglos und sichtlich angespannt. Kitchings holte tief Luft, stieß sie wieder aus und schüttelte den Kopf. »Schwer zu sagen, Doc. Wirklich schwer zu sagen.«
Den Eindruck hatte ich allmählich auch. Vielleicht nicht so schwer zu wissen – zumindest für Eingeweihte –, aber verdammt schwer zu sagen, vor allem zu Außenstehenden. Er verheimlichte mir etwas, da war ich mir sicher; ich überlegte, ob es die Identität der jungen Frau war, und wenn ja, warum. Ich sah Williams fragend an, doch der Deputy zuckte nur die Achseln und schüttelte den Kopf. Ich beschloss, die Karte auszuspielen, die Jim O’Conner mir gerade in die Hand gedrückt hatte. »Sheriff, sagt Ihnen der Name Lester Ballard irgendetwas?«
Er schaute zur Decke, als könnte die Antwort dort irgendwo im abblätternden Putz zu lesen sein. »Lester Ballard? Nein, nicht dass ich wüsste. Warum?«
»Schwer zu sagen. Ist mir untergekommen.«
Er beäugte mich misstrauisch, spürte wohl, dass da noch mehr war, war sich aber nicht sicher, was.
»Drüben in Union County gibt’s, glaube ich, ein paar Ballards, aber einen Lester kenne ich nicht. Einen Thomas J. O’Conner kenne ich hingegen verdammt gut.«
Ich nickte. »Sheriff?« Er war genervt. »Wie ist er, dieser O’Conner?«
Kitchings verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ein Klugscheißer.
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