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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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ihr dann besser –, und wieder zuckte ich zusammen. »Gottverdammt, das hier ist nicht die Junior-Highschool.«
    Ich hatte die ganze Situation vollkommen missverstanden und die Spannung und die wütenden Blicke völlig falsch interpretiert. Eine Welle verrückter Erleichterung durchströmte mich. Ich fing an zu lachen und konnte nicht mehr aufhören. Ich lachte, bis mir der Bauch wehtat und meine OP-Maske so nass war vor Tränen, dass ich sie ausziehen musste, wenn ich dahinter nicht ersticken wollte.
    Sie starrte mich mit offenem Mund an. Dann breitete sich langsam und strahlend wie ein Sonnenaufgang ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie drohte mir mit einem behandschuhten Finger, schüttelte den Kopf und sagte: »Und wovon hast du gesprochen? Bist du mit ihr zusammen?«
    »Nein. Nein!« Ich dachte, ich müsste wieder anfangen zu lachen, doch stattdessen weinte ich. Sie legte mir eine Hand auf den Arm und ließ sie dort liegen, bis ich mich wieder gefangen hatte. »O Gott, Jess, ich habe einen einzigen Schlamassel angerichtet.«
    »Du bumst eine Studentin? Hey, es ist nicht so, als wärst du der erste Professor, der einen Bissen von diesem hübsch polierten Apfel nimmt. Nur unter uns, als ich noch jung und verwegen war …«
    Ich starrte sie an. »Du?«
    »Dr. Crowder. Mikrobiologie. Und in dem Zusammenhang fällt mir auch gleich der Ausdruck mikroskopisch ein!« Sie lachte. »Dann hast du also was laufen mit Miss Priss? Hat sie mir deswegen die Zähne gezeigt?«
    »Nein. Wenigstens nicht so. Es ist kompliziert.« Sie zog fragend die Augenbrauen hoch, also erzählte ich ihr alles: wie ich im Hörsaal die Nerven verloren hatte, wie Sarah an dem Abend in mein Büro gekommen war, um mir die Knochen zu bringen, wie es zu dem Kuss gekommen war, wie Miranda darauf reagiert hatte. »Gütiger Himmel, Jess, ich habe mich mit einer Studentin kompromittiert – und das auch noch mit einer im Grundstudium – und mir gleichzeitig meine beste Assistentin madig gemacht. Ich weiß nicht, wie ich das wieder richten soll.«
    Sie fixierte mich mit einem ernsten Mach-keinen-Scheiß-Blick. »Bill, wann bist du das letzte Mal flachgelegt worden?«
    Ich wurde rot. »Das ist schon eine ganze Weile her. Nicht seit Kathleen gestorben ist. Ein paar Monate vor ihrem Tod.«
    Sie erwiderte meinen Blick. »Das sind zwei Jahre oder mehr? Das ist eine verdammt lange Zeit für einen Mann im besten Alter. Und du bist Tag für Tag von jungen Frauen umgeben – klugen, attraktiven jungen Frauen, Frauen, die zu dir aufschauen. Ich kann nur staunen, dass du nicht längst so ein armes Ding zu Boden geworfen und geschändet hast. Himmel, Bill, entspann dich. Ja, du hast eine Studentin geküsst. Wahrscheinlich war das ebenso ihr Machwerk wie deines – lass dir das gesagt sein. Und ja, dein Timing war miserabel. Schade. Wenn du dich bei einer von beiden oder bei beiden entschuldigen willst, dann los. Und dann mach weiter.« Ihre Stimme wurde weicher. »Bill, Bill. Wir machen alle Fehler. Auch du. Du trauernder, einsamer, stets Haltung bewahrender Kerl. Und wenn es dich von dem Sockel haut, bei einem Kuss erwischt zu werden, auf den deine Assistentin dich gestellt hat, na, dann ist das wahrscheinlich gar nicht so schlecht.« Sie beugte sich vor und kam ganz nah. »Auch wenn es verständlich ist, Bill, aber es ist nicht gesund für sie, wenn sie dich so vergöttert.«
    Ich blinzelte. Es war gerade sehr vieles passiert: Geständnis, Verständnis, Vergebung und ein Rat. »Ich dachte, du wärst Rechtsmedizinerin. Im Augenblick klingst du mir eher wie eine Seelenklempnerin. Und eine verdammt gute obendrein.«
    Sie lächelte. »Nein, nur wie eine Frau, die schon das eine oder andere erlebt hat. Wenn ich inzwischen nicht glücklich lesbisch wäre, würde ich vielleicht sogar selbst eine Runde mit dir drehen und versuchen, wieder ein Lächeln auf dein Gesicht zu zaubern. Aber genug der Therapie. Wir haben eine Leiche zu sezieren.«
    Jetzt starrte ich sie mit offenem Mund an – »inzwischen glücklich lesbisch«? Was war denn aus dem Ehemann geworden, den sie mir vor einem Jahr oder so auf einer forensischen Konferenz vorgestellt hatte? –, während sie ihre Aufmerksamkeit Ledbetters Leiche zuwandte. Der Y-Schnitt von Dr. Hamiltons Obduktion war mit groben schwarzen Nähten wie an einem Baseball verschlossen. Jess schnitt sie mit dem Skalpell auf. In den Bauchraum gestopft war eine rote Plastiktüte für infektiösen Abfall. Sie zog sie heraus, legte sie auf

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