Anatomie
Lederstiefel mit breiter Kappe. »Okay, Kumpel, er steht ganz zu deiner Verfügung. Viel Spaß.« Ich nickte, während ich im Geiste schon den Brustkorb zerlegte. »Oh, und Bill?« Ich drehte mich zu ihr um. Sie tat das Messer in eine Lederscheide und steckte diese in den Gürtel ihrer Jeans. »Vergiss nicht, was ich gesagt habe. Tu, was du tun musst, um die Angelegenheit mit diesen Studentinnen zu klären. Und dann entspann dich. Und sorg um Himmels willen dafür, dass du mal wieder flachgelegt wirst!« Sie zwinkerte ostentativ und schob die Tür auf, und ich blieb mit hochrotem Kopf über der zergliederten Leiche von Billy Ray Ledbetter zurück.
Ich brauchte nicht das ganze Skelett zu mazerieren, nur den Thoraxbereich, den Jess für mich vom Rest des Körpers getrennt hatte. Ich schob die Finger unter den Brustkorb, hob diesen stark verwesten Abschnitt des Torsos hoch und hievte ihn auf eine Arbeitsplatte in der Nähe, wo schon ein riesiger Mazerationskessel wartete. Ich lud meine Last auf dessen Rand ab, zog die Hand darunter heraus und versenkte das Teil im Kessel. Dann füllte ich diesen mit einem kurzen Schlauch, der an der Wand dahinter hing, bis wenige Zentimeter unter den Rand mit Wasser. Aus einer Clorox-Flasche fügte ich einen Spritzer Bleichmittel hinzu – ich bevorzugte die frischere Sorte mit dem grünen Etikett – und etwa einen Esslöffel aus einem Glas mit Adolph’s Fleischzartmacher. Das Adolph’s würde die Zeit verkürzen, und das Bleichmittel würde den Geruch dämpfen und die karamellfarbenen Knochen auf ein alterndes Elfenbeinweiß bleichen, das Anwälten und Geschworenen irgendwie besser liegt. Schließlich stellte ich das Thermostat am unteren Ende des Kessels auf gut 80 Grad Celsius. Unterhalb dieser Temperatur würde das Gewebe zu lange brauchen, um weich zu werden; wenn ich es heißer werden ließ, riskierte ich, dass alles überkochte.
Als ich Billy Ray Ledbetter zum Kochen allein ließ, dämmerte mir, dass ich selbst auch ziemlich lange geschmort hatte. Seit Kathleens Tod hatte ich den Deckel fest auf meinen Gefühlen gehalten – in der Hoffnung, ich könnte damit verhindern, dass mein Leben aus den Fugen geriet. Jess’ Rat und mein Verhalten in letzter Zeit hatten mir gezeigt, dass auch ich kurz davor war überzukochen. Und vielleicht hatte sie recht. Vielleicht musste ich loslassen. Vielleicht musste ich mich auch flachlegen lassen.
17
Ich beugte mich aus dem Pick-up hinunter zum Drive-in-Schalter. »Bitte schön«, sagte Dolores und reichte mir die strahlend gelbe Plastikschachtel.
»Habe ich außer dem Objektivdeckel noch was draufbekommen?«
»Ein paar tolle Aufnahmen von Ihrem linken Zeigefinger.« Sie lachte. »Die könnte Ihr Kumpel Art todsicher durch seine Fingerabdruckdatenbank laufen lassen.« Als sie die Bestürzung in meinem Gesicht sah, lachte sie noch einmal. »Erwischt. Nicht schlecht, größtenteils – weniger ekelhaft als normalerweise, was ich persönlich zu schätzen weiß. Aber bei manchen sieht es so aus, als hätten Sie versehentlich auf den Auslöser gedrückt, bevor Sie so weit waren.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nichts als Matsch.«
Ich lächelte. »Irgendwelche Fußabdrücke in dem Matsch?«
»Also, jetzt wo Sie es erwähnen, scheint so, als wären hier und da welche gewesen. Waren Sie hinter denen her?« Ich nickte.
Dolores entwickelte schon seit Jahren meine Dias; in dieser Zeit hatte sie Tatortfotos zu sehen bekommen, bei denen sogar hartgesottenen Polizisten leicht das Mittagessen wieder hochkam. Sie wirkte immer interessiert, doch ihre Fragen waren niemals zu neugierig. Es machte mir nichts aus, ihr ein paar Einzelheiten zu erzählen, denn ich wusste, dass sie das, was sie hörte oder sah, für sich behielt. Vor ihrem geistigen Auge schien sie den Filmstreifen zurückzuspulen. »Auf manchen ist nichts als Matsch, aber auf anderen finden Sie womöglich das eine oder andere Interessante. Sie haben wohl nachts fotografiert.«
»In einer Höhle, um genau zu sein.«
»Ich habe mich schon gefragt, wo Sie den ganzen Matsch gefunden haben, wo es doch diesen Monat so trocken war. Bei Ihnen gibt’s auch immer was Neues, Doc.«
»So bleibt das Leben interessant, Dolores. Hält einen jung.« Ich bezahlte, nahm meine Quittung und winkte. Das Fenster wurde zugeschoben, und Dolores verschwand in den Tiefen von FotoFast.
Zurück im Büro steckte ich die Dias kopfüber in ein Rundmagazin und legte dieses in den Kodak-Projektor ein. Ich knipste
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