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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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den Tisch und sagte: »Na, wenigstens hat er die Organe in eine Tüte gesteckt, statt sie einfach so in die Bauchhöhle zu stopfen. Wir könnten uns zuerst die Lunge ansehen, obwohl ich, was ihren Zustand angeht, nicht allzu optimistisch bin.«
    »Neun Monate ist eine lange Zeit«, stimmte ich ihr zu. »Ich wäre überrascht, wenn sie nicht vollständig zersetzt wäre.«
    »Ich auch. Sieht aus, als hätte unser Mann das absolute Minimum an kosmetischer Einbalsamierung erhalten – gerade genug im Hals, dass das Gesicht für die Beerdigung präsentabel ist. Und die Organe waren zu diesem Zeitpunkt bereits entfernt und haben in einer Tüte gesteckt, sodass sie überhaupt kein Formalin abbekommen haben.« Sie schnitt den Clip am Hals der Tüte auf. »Wappne dich – das hier wird mächtig reif sein.« Sie öffnete die Tüte weit und bot den Inhalt unseren Augen und Nasen dar.
    Die Lunge – vielmehr das, was davon noch übrig war – bestand noch aus einigen Handvoll gallertartiger grauer Schmiere. Die Lungenflügel waren während der ursprünglichen Obduktion auseinandergeschnitten worden, und Sektion und Verwesung hatten zusammen dafür gesorgt, dass sie inzwischen keinerlei forensische Informationen mehr preisgeben konnten. »Mist«, sagte Jess. »Und das ist sowohl eine Beschreibung als auch ein Kommentar.« Sie verschnürte den Beutel wieder und ging zu einem Stereomikroskop, das auf einem Tisch an einer Wand des Sektionssaals stand. »Ihre Freundin hat mir wenigstens noch einen Gefallen getan, bevor sie hier rausgestürmt ist. Sie hat uns die Dias geholt.« Jess schaltete die Lichtquelle ein und schaute in die Okulare. »Komm, sieh dir das mal an.«
    Ich nahm ihren Platz am Mikroskop ein, beugte mich vor und drehte ein wenig an der Scharfeinstellung herum. Das Blickfeld war mit filigranen, zarten Kreisen in Blassrosa ausgefüllt; das Innere der Kreise war fast undurchsichtig braun. »Sag mir, was ich da sehe.«
    »Querschnitt durch den Alveolarsack aus dem unteren linken Lungenflügel. Fünftausendstel Millimeter dick. Das Wasser im Gewebe wurde gegen Paraffin ausgetauscht.«
    »Und die rosa Kreise?«
    »Das sind die geschäftigen Teile der Lunge – die Säckchen, wo der Luftaustausch stattfindet.«
    »Das dachte ich mir. Und das Braune?«
    »Blut.«
    »Perimortem?«
    »Nein. Geronnen. Definitiv ante mortem.«
    »Kannst du sagen, wie lange vor dem Tod?«
    »Allerhöchstens zwei Wochen, würde ich schätzen«, sagte sie. »Ich wünschte, Dr. Hamilton hätte das Asservatenglas aufgehoben.«
    »Asservatenglas?«
    »Ja … ein spezieller Fachbegriff für ein Einmachglas, in dem wir Gerichtsmediziner vom Typ Packratte manchmal größere Schnitte von Organen in Formalin einlegen. Ich habe Tausende davon – meistens hebe ich sie jahrelang auf, zumindest in forensischen Fällen. Aber ich glaube, Hamilton verbrennt die größeren Schnitte, sobald er den Bericht geschrieben hat. Da bleiben die Regale sauber, hat er mir mal gesagt. Erschwert es natürlich auch, seine Ergebnisse zu überprüfen, würde ich sagen.«
    »Was würde ein größerer Schnitt dir denn verraten?«
    »Vielleicht nichts, aber wenn wir wirklich Glück gehabt hätten, wäre vielleicht ein bisschen verletztes Gewebe dabei gewesen, das seine Theorie vom Erstechen entweder untermauert oder gezeigt hätte, wie vollkommen idiotisch sie ist.«
    Sie beugte sich vor, schob den Kopf praktisch in die Höhle, die einst das gummiartige Herz und die schwammigen Lungenflügel beherbergt hatte, und ließ das Licht der Stirnlampe über das Innere wandern. »Das Weichgewebe in der Körperhöhle zeigt Zeichen fortgeschrittener Verwesung«, diktierte sie, »das Brustfell scheint intakt zu sein, es weist an der hinteren Wand der Brusthöhle keine Anzeichen einer Stichwunde auf.« Sie hob den Fuß vom Fußschalter des Diktaphons. »Kannst du mir helfen, ihn umzudrehen?«
    Wir rollten die Leiche auf den Bauch, oder dahin, wo früher mal der Bauch gewesen war, sodass Jess den Rücken untersuchen konnte. Unten links, kurz oberhalb der Hüfte, fand sich eine tiefe gezackte Schnittwunde, ungefähr fünf Zentimeter lang und zweieinhalb Zentimeter breit. Jess raute sie mit der Spitze einer Sonde auf. Als sie die Sonde in der Wunde drehte, entstieg der Leiche ein gedämpftes Kratzen. »Horch!«, sagte sie, und ihre Augen über der OP-Maske tanzten. »Hörst du, was ich höre?« Ich nickte. »Schauen wir mal, was wir gefunden haben.«
    Sie tauschte die Sonde gegen ein Skalpell und

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