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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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Banknoten heraus, schälte eine ab und reichte sie Waylon. Waylon beugte sich weiter vor und redete eindringlich auf den Mann ein, doch der schüttelte stoisch den Kopf.
    In diesem Augenblick trat ein anderes Trainerpaar in den Ring, begleitet von einem neuen Ringrichter. Die Trainer hatten Nummern auf dem Rücken; diese beiden waren Nummer neunundzwanzig und Nummer siebenundfünfzig. Wenn die Teilnehmernummern mit eins anfingen und durchgezählt wurden, dann war dieser Hahnenkampf ein Sport, der es an Blutrünstigkeit gut mit den Vergnügungen im alten Rom aufnehmen konnte. Und wenn die Wetten, die für diesen Kampf getätigt wurden, typisch waren – Dutzende Zwanzig-Dollar-Wetten, ein paar mehr auf vierzig, fünfzig und hundert Dollar, eine sogar auf tausend –, dann wechselte hier zudem noch sehr viel Geld den Besitzer. War es möglich, dass der Sheriff selbst von all dem nichts wusste? Oder – und das kam mir weitaus plausibler vor – wurden Tom Kitchings und seine Deputys alle bezahlt, um wegzuschauen?
    Im Ring begannen die zwei neuen Trainer ihren Aufwärm-Tanz. Darauf bedacht, nicht noch einmal Zeuge eines Kampfes auf Leben und Tod zu werden, wandte ich mich ab und schob mich in Richtung der Längswand. Mein Mund füllte sich mit Spucke; ich hatte nichts, um hineinzuspucken, also schluckte ich sie und hätte beinahe gewürgt. Mein Kopf summte ein wenig, was mich überraschte, schließlich hatte ich den Tabak kaum länger als eine Minute im Mund.
    Eine Handvoll Männer traten zur Seite, als ich mich der Wand näherte, und ich sah, worum sie sich versammelt hatten. In einem kleineren, eckigen Ring kroch ein übel zugerichteter, blutverschmierter weißer Vogel – er hatte nur noch ein Auge und schleifte einen Flügel hinter sich her – immer im Kreis herum, um einem Hahn zu entkommen, der weitestgehend unversehrt war, außer dass sein linkes Bein zerfetzt war. Der aufrechte Vogel hüpfte mutig hinter seinem Gegner her, doch er hatte noch nicht richtig raus, wie er mit nur einem gesunden Bein hüpfen, zuschlagen und sich wieder in Ausgangsstellung bringen konnte, also pickte er nur auf das verbleibende Auge seines Widersachers ein und zupfte an dessen zerfetztem Kamm. Jedes Mal, wenn er einen Schnabel voll Kamm erwischte, geriet er aus dem Gleichgewicht und fiel auf den unterlegenen Hahn. Obwohl es weniger blutig war als der Messerkampf im Hauptring, kam mir dieses Spektakel irgendwie noch schlimmer vor, weil es das Leiden verlängerte. Ich war angewidert und gleichzeitig wie hypnotisiert, unfähig, mich abzuwenden. Ich sah zu, wie die Trainer die Vögel drei Mal trennten, streichelten und anpusteten, bis sie wieder Leben in sich hatten, sie aus ihrer Stumpfheit mit glasigem Blick so weit herausholten, dass sie für kurze Zeit wieder auflebten und in Raserei gerieten. Beim vierten Versuch schließlich schaffte der hüpfende Hahn es: Der lang gebogene Dorn an seinem gesunden Bein stieß tief in den Bauch des weißen Vogels hinein, der schwach kreischte und dann leblos zu Boden plumpste. »Mist«, spuckte sein Trainer, langte in den Ring, zog den toten Vogel an seinem ausgerenkten Flügel heraus und warf ihn dann in einen Mülleimer dicht neben mir. Der andere Trainer beugte sich ebenfalls in den Ring, packte den Sieger am Kopf und ließ ihn einmal kurz kreiseln, was ihm den Hals brach, bevor er den Vogel ebenfalls in den Mülleimer warf.
    Plötzlich begann sich die Scheune in einem verschmierten Fleck aus Nikotin und Übelkeit, Blut und Schirmmützen um mich zu drehen. Irgendetwas in dem Copenhagen oder in dem Gemetzel hatte sich mit meiner Reisekrankheit verschworen, um einen Schwindelanfall auszulösen, der sich gewaschen hatte. Ich taumelte rücklings gegen die Wellblechwand und streckte dabei Halt suchend die Hand aus: Das Erste, was sich bot, war der Rand der Abfalltonne, halb voll mit toten Hähnen. Ich stützte mich auf die Unterarme und beugte mich vor, das Gesicht nur wenige Zentimeter über dem Rand der Tonne. In dem Augenblick, in dem ich spürte, wie ich taumelnd in die Dunkelheit glitt, fing ich an zu kotzen. Halb bewusstlos würgte ich noch lange, nachdem mein Magen längst leer war, lange nach dem Punkt, wo mir jedes Mal, wenn ich schmerzhaft würgte, nur noch Tränen aus den Augen kullerten und mir Fäden aus Galle, Rotz und Tabaksaft aus Nase und Mund tropften. »Misch dich einfach unters Volk«, ermahnte ich mich absurderweise, und mit diesem Abschiedsgedanken spürte ich, wie es schwarz

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