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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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Motel erinnerte, mit Dutzenden von Türen, die auf den Bürgersteig im Erdgeschoss oder auf einen Balkon im ersten Stock führten. Am Ende musste Waylon wieder fast bis zu der Bude am Eingang fahren, bevor er eine freie Parkbucht fand, also gingen wir zu Fuß über den langen gekiesten Parkplatz zu dem großen blechverkleideten Gebäude, das das Zentrum des Komplexes zu sein schien.
    »Das ist ja eine ziemliche Anlage hier«, sagte ich, als wir über den groben Schotter stapften.
    »Ja, die ist hier schon, seit ich denken kann«, sagte er, »aber unter dem Paar, das das Geschäft vor ein paar Jahren gekauft hat, scheint der Laden wirklich zu expandieren.«
    »Bieten Sie auf eins der Fahrzeuge hier? Ich habe auf dem ganzen Platz kein Auto gesehen, das dem Pick-up, den Sie fahren, das Wasser reichen könnte.«
    »Bieten?« Waylon kicherte. »Na, so könnte man es nennen, schätze ich.«
    Das blechverkleidete Gebäude erbebte unter einer Kakophonie aus Schreien und Schlachtrufen. Bei der Auktion geht es aber hoch her, dachte ich. In der Mitte der Längsseite war eine Tür. Als wir näher traten, erhaschte ich einen Blick auf zwei Augen, die durch einen schmalen Schlitz in der Tür linsten. Die Augen musterten mich eine unbehaglich lange Weile mit einem Ausdruck, den ich als eine Mischung aus Misstrauen und Feindseligkeit empfand, dann richteten sie sich auf Waylon. Waylon schien die Iris oder die Pupillen durch den Schlitz zu erkennen. »Hey, T-Ray, lässt du uns jetzt rein, oder müssen wir von hier draußen zuhören?«
    Eine näselnde Stimme drang durch den Schlitz. »Wen hast du da mitgebracht?«
    »Einen Freund von mir und Jim aus Knoxville. Er ist in Ordnung.«
    »Ich will’s hoffen.«
    Waylon nickte mit seinem mächtigen Kopf; allerdings war ich mir nicht sicher, ob er damit unterstreichen wollte, ich sei tatsächlich in Ordnung, oder ob er damit auf das reagierte, was hinter dem unausgesprochenen »sonst« des anderen Mannes steckte. Vielleicht beides. Jedenfalls verschwanden T-Rays Augen, ein Eisenriegel wurde zurückgeschoben, und die Tür ging auf. »Bleiben Sie dicht bei mir«, knurrte Waylon mir ins Ohr, und wir traten ein.
    Ich brauchte einen Augenblick, um mich zu gewöhnen – nicht an das Halbdunkel, das ich erwartet hatte, sondern an das grelle Licht der Neonröhren, das ausgereicht hätte, um das Neyland-Stadion für ein Nachtspiel der Tennessee Volunteers zu erhellen. Rund zweihundert Menschen drängten sich in dem Schuppen, einige standen, andere hockten auf hölzernen Tribünen, die steil bis fast zum Dach anstiegen. Es waren größtenteils dickbäuchige Männer und schlaksige Jungen, obwohl ich auch mehrere Frauen sah und sogar eine Handvoll junger Mädchen, die in der obersten Reihe der Tribüne zusammensaßen. Die Hautfarbe reichte von teigigem Weiß bis zu lateinamerikanischem Olivbraun; die Kleidung reichte von Overalls und Schirmmützen bis hin zu Hüftjeans, Schlangenlederstiefeln, Abercrombie-Sweatshirts und milchweißen Stetsons.
    Eine schmale Lücke teilte die Ränge direkt vor uns, und dort hindurch erhaschte ich einen Blick auf eine runde Einfriedung in der Mitte der Halle. Waylon schob sich darauf zu, und eingedenk seiner Anweisung und T-Rays feindseligem Blick blieb ich ihm dicht auf den Fersen.
    Als wir uns der Einfriedung näherten, sah ich, dass es sich um einen Kreis von gut viereinhalb Metern Durchmesser handelte, der bis in eine Höhe von zweieinhalb, drei Metern von Maschendraht umgeben war. Der Boden bestand aus gestampfter Erde. Staub hing in der Luft wie trockener Nebel und machte die Szene noch surrealer, als sie es eh schon war. Rufe durchdrangen den Hintergrundlärm: »Hundert auf den Roten!« – »Fünfzig auf den Grauen!« – »Setz fünfzig!« – »Fünfhundert auf den Roten!« Waylons dröhnende Stimme zerfetzte mir beinahe das Trommelfell.
    Im Ring standen zwei Männer einander gegenüber. Der eine war ein Alter mit langem Bart, der an einen alttestamentlichen Propheten erinnerte, in einem ausgebeulten Overall. Der andere war ein junger Südamerikaner in einem gut sitzenden braunen Overall, auf dem »Felipe« zu lesen war. Sie beugten sich zueinander vor und pendelten und schwankten rhythmisch hin und her, wobei sie etwas an die Brust zu drücken schienen. Ich versuchte immer noch dahinterzukommen, was es war, als sie sich gleichzeitig hinhockten und dann wieder aufstanden, jetzt mit leeren Händen. Einen Augenblick herrschte Stille in dem Getöse, gefolgt von

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